Mit
Derivaten lassen sich klimatische Risiken absichern – ein neues Aktionsfeld
nicht nur für Energieversorger
Von
Hans Esser, FinanzTrainer,com, Risk Management Training & Consulting,
Grevenbroich
Mit
der Liberalisierung des Strom- und bald auch des Gasmarkts gewinnt
das Beschaffungsportfolio für Energie eine erhebliche Bedeutung. Bei
der Absicherung von Risiken, die mit der Energiebereitstellung verbunden
sind, können sich EVU künftig u. a. sogenannter Wetterderivate bedienen.
Es dürfte für sie auch interessant sein, selbst als Anbieter solcher
Finanzprodukte etwa gegenüber Großverbrauchern, die ihren Energieeinkauf
optimieren möchten, aufzutreten. Wie mit Wetterderivaten gehandelt
wird, wird hier dargestellt.
Ein
Wetterderivat ist ein Vertrag zwischen zwei Parteien, der eine Verrechnung
darstellt, die sich auf ein Basisobjekt an einem festgelegten Standort
bezieht, beispielsweise auf einen Tag im Winter mit einer bestimmten
erwartbaren Durchschnittstemperatur. Bei diesem Basisobjekt handelt
es sich selbstverständlich um objektiv mess- und überprüfbare meteorologische
Daten.
Der
Käufer des Derivats, also das EVU oder der Stromgroßverbraucher, ist
normalerweise die Partei, die sich gegen die nachteiligen Finanzfolgen
ungewöhnlicher Wetterbedingungen absichern möchte.
Der
Verkäufer des Derivats kann ein Vorlieferant, ein Finanzinstitut oder
ein Rückversicherer sein. Es ist auf alle Fälle ein Unternehmen mit
gegensätzlichem Risk/Reward-Profil bzw. gegensätzlicher Markterwartung.
Als
Gegenpole vorstellbar sind z. B. eine Firma aus der Bauindustrie und
ein EVU. Ein sehr kalter Winter behindert die Arbeit des Bauunternehmens,
bedeutet also negative Einflüsse auf dessen Ergebnisse. Für ein EVU
dagegen bedeutet schlechtes Wetter hoher Absatz z. B. im Gasbereich
und damit eher ungewöhnlich positive Auswirkungen auf die Geschäftsergebnisse.
Hier bietet sich ein Ausgleich der Risiken auf einem für beide Seiten
erträglichen Niveau an. Er führt sozusagen zu einer Normalisierung
der Ergebnisse, weil zwar das EVU die Aussicht auf eine vielleicht
eintretende, ungewöhnlich gute Ertragsphase fahren lässt, dafür aber
ein Absicherungsgeschäft mit der Baufirma realisieren kann. Bei den
bisher getätigten Geschäften mit Wetterderivaten gehört die Energiebranche
zu den Hauptmarktteilnehmern – bis jetzt.
Absicherung
gegen Wetterlaunen
Erste
Wetterkontrakte wurden im Herbst 1997 in den USA gehandelt, ehe ein
Jahr später die ersten Geschäfte in Europa durchgeführt wurden. Obwohl
dieser sehr junge Markt noch in den Kinderschuhen steckt, wurden schon
mehrere Milliarden US-Dollar mit Wetterderivaten umgesetzt – bis jetzt
ca. 3–5 Mrd. $. Nach anfänglich einer Handvoll Deals im Jahr wird
derzeit schon fast täglich eine Absicherung gegen die Launen des Wetters
abgeschlossen, denn nichts anderes ist ein Wetterderivat.
Derzeit
werden Verträge hauptsächlich abgeschlossen, um den Kunden gegen negative
klimatische Auswirkung abzusichern, die auf Temperaturen oder Niederschlag
an einem spezifizierten Standort basieren. Weiterhin sind auch zahlreiche
andere Wetterabsicherungen denkbar wie Windstärken oder Schneefall.
Diese müssen sich nur durch unabhängige Dritte – wie dem Deutschen
Wetterdienst in Offenbach – zuverlässig messen lassen.
Heiß
oder kalt – die Börse reagiert
Der
US-Markt hat darüber hinaus eine Anzahl maßgeschneiderter Produkte
entwickelt wie die sehr aktiv gehandelten „heating degree days“
(HDD).
Ein HDD ist die Differenz zwischen der durchschnittlichen Temperatur
eines Tages und dem Benchmarkwert, der gewöhnlich 65ºF in den USA
und 18,3ºC in Europa entspricht. Hierbei wären 18,3ºC die Obergrenze,
d. h. bei Überschreitung dieser Marke würde für diesen Tag ein HDD
von Null verzeichnet, denn es würde nicht übermäßig geheizt werden.
Wäre jedoch an einem Tag eine durchschnittliche Tagestemperatur von
10°C zu beobachten, so ergäbe sich ein HDD-Wert von 8,3°C. Daraus
folgt, dass für Zeitabschnitte mit starken Abweichungen nach unten
– etwa einem kalten Winter – ein hoher HDD-Wert charakteristisch ist.
In Verträgen werden die HDDs einzelner Tage zu Monatsperioden oder
sogar längeren Zeiträumen summiert, um einzelne Tagesausschläge zu
eliminieren. Das komplementäre Finanzinstrument zu den HDDs stellen
die CDDs dar, die „cooling degree days“. Hohe Werte von CDD sind somit
in sehr warmen Perioden zu beobachten. Wetterderivate oder andere
Finanzinstrumente, die auf CDD basieren, haben jedoch nur im US-Markt
größere Bedeutung, da sie eine Absicherung von übermäßigem Energieverbrauch
durch Klimaanlagen bei sehr hohen Außentemperaturen bieten, die in
unseren Breitengraden nicht oder nur zu selten vorkommen.
Wie
auch bei anderen Produkten an den Terminbörsen gibt es hier bereits
verschiedene abgeleitete Finanzinstrumente – Derivate. Eines der am
häufigsten gehandelten Produkte ist die „Option“, bei der der Optionskäufer
für die Zahlung einer Prämie an den Verkäufer eine Ausgleichszahlung
erhält, wenn die tatsächlichen Wetterbedingungen eine vereinbarte
Begrenzung überschreiten. Der Auszahlungsbetrag hängt ab von dem Unterschied
zwischen der vereinbarten Grenze (Strike) und der tatsächlichen, unabhängig
gemessenen Statistik.
Von
Swaps zu Anleihen
Weiterhin
werden „Swaps“ aktiv gehandelt, bei denen – vereinfacht ausgedrückt
– Zahlungsströme ausgetauscht werden, je nachdem, ob eine vereinbarte
Begrenzung über- oder unterschritten wird. Als weitere Ableitungen
aus bzw. Strategien mit den vorgenannten Produkten sind Spreads,
Collars,
Straddles und Strangles möglich. Die Marktentwicklung wird weitere
Produkte bringen.
Instrumente
zur Absicherung wetterbedingter Risiken haben ein massives Potential,
da sie nicht nur auf o. g. Gebiete und Produkte beschränkt sind. Denkbar
sind andere Koppelungen an das Wetter und an deren Einflüsse auf das
Ergebnis eines Unternehmens. So könnte ein EVU eine festverzinsliche
Anleihe zur Kapitalaufnahme emittieren, deren Nominalzins unter dem
Marktniveau vergleichbarer Industrieanleihen läge.
Interessant
für einen Kapitalanleger wird eine solche Anleihe durch einen gestaffelten
Bonuszins, der bei Nicht- oder nur Teileintritt eines Wetterereignisses
gezahlt wird. Diesen Bonuszins zahlt das EVU gern, da es ein verbessertes
Betriebsergebnis hat. Im für das EVU negativen Fall braucht es den
Bonuszins nicht zu zahlen und profitiert dennoch von einer günstigen
Kapitalaufnahme. Vorstellbar wäre auch der komplette Kauf einer solchen
Anleihe durch ein Unternehmen mit gegenläufigem Risk/Reward-Profil
(wie EVU und Baufirma) als eine Art von Absicherungsmöglichkeit (Quasi-Hedge).
Wegen
der notwendigen individuellen Anpassung dieser Geschäfte an die speziellen
Risiken der Beteiligten werden bis heute die meisten Geschäfte noch
bilateral im OTC-Markt gehandelt. Das Interesse der Finanzmärkte steigt
jedoch stark; die Chicago Mercantile Exchange, CME, hat bereits im
Herbst 1999 die ersten börsengehandelten Wetter-Terminkontrakte (Futures
auf HDD und CDD) in zehn amerikanischen Städten eingeführt. Auch Europa
schläft nicht. Die weltweit umsatzstärkste Terminbörse, die Frankfurter
EUREX (siehe Seite 14), plant die Einführung von Wetterindizes, die
zu einem späteren Zeitpunkt als „Underlying“ für Wetterderivate dienen
können.
Online-Handel
kommt
Einen
anderen Weg gehen internetbasierte Plattformen wie Marktführer TradeWeather.com
(www.tradeweather.com). Hier treten institutionelle Marktteilnehmer
anonym auf, um die Absicherung ihrer Wetterrisiken online auszuhandeln.
Bei TradeWeather.com haben sich bereits die größten Unternehmen registriert;
seit Jahresbeginn wurden mehrere hundert Wetterrisiken gelistet und
bereits viele abgesichert.
Nach
einer Schätzung der Futures Industry Association, FIA, besitzt das
Management von Wetterrisiken ein Marktpotential, das das sämtlicher
weltweit gehandelter Futures und Optionen übersteigt.
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