17. November 2000

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Interview: Wetter-Risikomanagement 

weiter auf dem Vormarsch 

Kürzlich fand in Paris das 2. Europäischen Treffen der Weather Risk Management Association (WRMA; Weltverband Wetter Risikomanagement) statt. Etwa 90 Teilnehmer aus der weltweiten Finanz-, Versicherungs- und Energiebranche haben mit Meteorologen und Klimaforschern über die Möglichkeiten und Chancen des Wetter-Risikomangagment diskutiert. Hans Esser, FinanzTrainer.com, Risk Management Training & Consulting aus Grevenbroich und Nick Ward, Broker bei Spectron London waren dabei. Sie beschreiben die Situation und ziehen Bilanz.

 

Frage: Erste Wetterabsicherungen wurden in Europa erst 1998 und in Deutschland sogar erst Anfang dieses Jahres gemacht - in diesem sehr jungen Markt gibt es sicherlich noch einige Probleme, die zu lösen sind. Welche sind das?

 

Nick Ward: Ein großes Problem ist/war die Liquidität, u.a. in einer breiten Spanne zwischen Geld/Briefkurs ausgedrückt. Dies hat sich durch den Zugewinn verschiedener neuer Marktteilnehmer, sowohl auf der Nachfrage als auch auf der Angebotsseite schon verbessert. So wurden im Londoner Markt die Gradtage für Heizenergie als Absicherung gegen "zu warmen" Winter und damit geringerem Energieverkauf, bei einem Preis von 1693 zu 1694 mit einem Spread von nur 1 gehandelt. Einen so engen Markt hätte man jetzt noch gar nicht erwartet.

 

Hans Esser: Auch bei einem weiteren Problem kommt man gut voran: den Wetterdaten. Diese werden in zweierlei Hinsicht benötigt: 1. Zur historischen Analyse der Wetterabhängigkeit des Umsatzes / Gewinnes und 2. zur konkreten Abwicklung des Wetterderivates als Abrechnungsgrundlage. Die Entwicklung hier geht in mehrere Richtungen: Der Deutsche Wetterdienst aber auch die ausländischen Pendants wie UK Met Office (England), Meteo France (Frankreich) und KNMI (Niederlande) waren auf der Konferenz vertreten und haben die Bedürfnisse des Marktes erkannt und passen sich diesen langsam an. Daneben gibt es "private", d.h. nicht-staatliche, Wetterdienste, die diese historischen Daten ebenfalls in Kürze anbieten können, die aktuellen sind ja sowieso auch dort vorhanden. Und letztlich haben die großen Marketmaker wie Enron, Aquila und Koch Industries diese Daten mittlerweile ebenfalls.

 

Frage: Wie sehen die deutschen Energieversorger diesen Markt?

 

Hans Esser: Zu zurückhaltend. Nach dem Wetterdeal vom Bayernwerk im März habe ich eine schnellere Entwicklung erwartet. Es scheint jedoch, dass man mit den Neuerungen, die LPX und EEX bieten schon genug zu tun hat und hier zurzeit deshalb keine weitere "Baustelle" eröffnen möchte. Ich gehe jedoch davon aus, dass sich das in den nächsten Monaten ändern wird - der Markt fordert es. Risikomanagement ist eine aktive Tätigkeit und es kann nicht weiter toleriert werden, dass man auf dieser Seite untätig zusieht. In England haben z.B. schon verschiedene EVU die Zeichen der Zeit erkannt und für Wetterderivate ein eigenes Profitcenter eröffnet. TXU z.B. bietet mittlerweile sogenannte "fixed price contracts" an, d.h. hier wird unabhängig vom Mehr- oder Minderenergieverbrauch ein Festpreis abgerechnet mit dem Endkunden. Dies bedeutet für den Endkunden eine hohe Planungssicherheit und ist ein eindeutiges Marketingargument für das EVU. TXU sichert sich dabei selber durch Wetterderivate gegen Mehrverbrauch ab. Dies könnten auch einige deutsche EVU bieten.

 

Frage: Ist das nur für die großen deutschen Unternehmen interessant?

 

Hans Esser: Nein, überhaupt nicht. Gerade kleinere EVU oder Unternehmen können von der "Wetterseite" massiv getroffen werden und dies geht bei diesen Unternehmen an den Bestand. Zurzeit berate ich gerade ein kleines, norddeutsches Stadtwerk. Hier ist das Problem, dass in regenreichen Sommern, die örtlichen Landwirte wenig "Beregnungsenergie" für das Betreiben ihrer Wasserpumpen für die Felder benötigen und in trockenen Jahren umgekehrt das Stadtwerk viel Energie in diesem Bereich verkauft und ein gutes Geschäftsjahr verzeichnet. Es geht hier um einige hunderttausend Mark und diese Stadtwerk hat dieses Problem richtig erkannt und will sich nicht vom Wetter abhängig machen. Auch hier bietet das Wetter-Risikomanagement Lösungsmöglichkeiten an, also nicht nur bei den bekannten "Temperaturabsicherungen". 

 

 

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