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Antje Schirm
Dipl.-Kffr.
Antje Schirm ist Doktorandin des Graduiertenkollegs „Allokation auf
Finanz- und Gütermärkten“ der Universität Mannheim und beschäftigt
sich im Rahmen ihrer Promotion mit operativen Risiken, wie bspw.
Wetter- oder Katastrophenrisiken und insbesondere ihrem Transfer über
die Kapitalmärkte.
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Dezember
2000 |
Originalartikel!
(PDF-File) |
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Wetterderivate
- Finanzmarktprodukte für das Management wetterbedingter
Geschäftsrisiken
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I.
Einleitung
In jüngster Vergangenheit hat der Handel einer Klasse von
derivativen Finanzprodukten auf den internationalen Kapitalmärkten
Gestalt angenommen, die sich von herkömmlichen Finanzderivaten in
bemerkenswerter Weise unterscheiden: Wetterderivate leiten ihren
Payoff aus der Entwicklung von Wetterparametern wie Temperatur,
Niederschlagsmenge oder Windgeschwindigkeit ab. Sie ermöglichen so
die Verbriefung von Risiken, die nicht in den Marktwertänderungen
gehandelter Assets bedingt sind, sondern aus der Unsicherheit über
das Wetter resultieren. Obwohl der Gedanke der Verbriefung von
Wetterrisiken auf den ersten Blick befremdlich erscheinen mag, hat der
Wettermarkt zum heutigen Zeitpunkt bereits eine gewisse Reife
erreicht. Dies wird neben der Gründung von Internet-Handelsplattformen wie dem deutschen Start-Up-Unternehmen
Tropos-X oder der britischen I-Wex (International Weather Exchange)
insbesondere in der Aufnahme des Börsenhandels in einer speziellen
Klasse von Wetterderivaten durch die Chicago Mercantile Exchange im
September 1999 und der Absicht der LIFFE, ihre Produktpalette
ebenfalls um Wetterderivate zu erweitern,
deutlich.
Für 2001 plant die LIFFE eine Einführung von Wetterderivaten für fünf
europäische Städte, darunter Hamburg und München.
Zahlreiche Industriezweige, wie bspw. die
Energie-, Versicherungs-, Tourismus-, Agrar-, Bau- oder Konsumgüterindustrie
werden infolge der Wetterabhängigkeit von Umsatz und Kostenparametern
bereits von geringen Wetterveränderungen möglicherweise sehr regelmäßig
beeinflusst. Deshalb kann ein systematisches Management der Folgen von
Wetterphänomenen entscheidend für den Erhalt oder den Ausbau der
Wettbewerbsfähigkeit verschiedenster Unternehmen sein.
Seit 1997 werden Wetterderivate als
Kapitalmarktprodukte eingesetzt, die die unerwünschten
wirtschaftlichen Folgen adverser Witterungsbedingungen abschwächen.
Hierbei kommt eine Vorreiterrolle US-amerikanischen Energieunternehmen
zu, denn die Auszahlungen von Wetterderivaten können die
wetterbedingten Schwankungen der angesprochenen Erfolgsgrößen
kompensieren. Für private und institutionelle Anleger, welche als Käufer
von Wetterrisiken auftreten, bietet der Wettermarkt ebenfalls Chancen,
da Wetterderivate einen wertvollen Beitrag zur
Portfoliodiversifikation leisten können.
Im vorliegenden Beitrag soll die Konstruktion
des neuartigen Finanzprodukts Wetterderivat erläutert werden, wobei
der Konzeption möglicher Underlyings besonderes Augenmerk zukommt.
Ein Überblick über den noch jungen Wettermarkt schließt sich an.
Nachfolgend wird aufgezeigt, wie Wetterrisiken den Unternehmenserfolg
beeinflussen können und welchen Beitrag Wetterderivate zum Hedging
dieser Risiken leisten können. Abschließend werden Ansätze zur
Bewertung von Wetterderivaten vorgestellt und für die am häufigsten
eingesetzten Wetterderivate, sog. Degree-Day-Derivate, konkretisiert.
II.
Wetterderivate: Derivative Finanzinstrumente mit exotischen
Underlyings
Wetterderivate zeichnen sich gegenüber der Mehrheit der
gehandelten derivativen Instrumente dadurch aus, dass ihre Underlyings
keinerlei Verbindung zu Finanz- oder Gütermärkten aufweisen. Bei den
Underlyings von Wetterderivaten handelt es sich um Wettervariablen wie
Temperatur, Niederschlag (Regen- oder Schneehöhe), Sonnenstunden oder
Windgeschwindigkeit, wobei die Ausprägungen dieser Variablen meist in
Form eines zweckmäßig konstruierten Index notiert werden, der die
Entwicklung der relevanten Variablen über einen gegebenen Zeitraum
abbildet.
Da Wettervariablen keine physischen Assets
darstellen, sind diese weder handel- noch lagerbar oder im Portfolio
replizierbar und sind insofern als vergleichsweise exotisch
einzustufen. Dennoch sind die zugrunde liegenden Größen objektiv
quantifizierbar, so dass an deren Realisierungen die Payoffs von
Derivaten geknüpft werden können.
Wetterderivate werden zwischen zwei
Kontraktparteien abgeschlossen. Diejenige Partei, die die
wetterbedingte Variabilität ihres Geschäftserfolges abzusichern
versucht, tritt als Risikoverkäufer auf. Die Gegenpartei übernimmt
das aus der Volatilität der festgelegten Wettervariablen
resultierende ökonomische Risiko und fungiert deshalb als Risikokäufer;
sie kann alternativ aber auch beabsichtigen, ein eigenes
wetterbedingtes Geschäftsrisiko zu kompensieren.
Von den zahlreichen möglichen Wettervariablen als Underlyings
kommt der Temperatur die mit Abstand größte Bedeutung zu.
Dies ist in der Entstehung des Marktes für Wetterderivate begründet:
Bis zum heutigen Zeitpunkt sind die Verwender von Wetterderivaten
hauptsächlich im Energiesektor angesiedelt. Die Temperaturentwicklung
stellt einen wesentlichen Einflussfaktor für den Geschäftserfolg von
Energieproduzenten und -großabnehmern dar, da die Absatzmengen von
Energieträgern (Strom, Erdgas und Heizöl) in Abhängigkeit vom
Temperaturverlauf während einer Betrachtungsperiode variieren.
Als Underlyings für temperaturabhängige Wetterderivate finden
zumeist Degree-Day-Indizes Verwendung.
Degree-Day-Indizes bilden das Ausmaß ab, in dem die
Temperaturentwicklung an einer festgelegten Wetterstation über einen
gegebenen Zeitraum von einem Referenzwert von 65° Fahrenheit (18,33°
Celsius) abweicht. Degree-Day-Indizes werden für das Winterhalbjahr
vom 1. November bis zum 31. März als Heating-Degree-Day (HDD)-Indizes
und für das Sommerhalbjahr vom 1. April bis zum 31. Oktober als
Cooling-Degree-Day (CDD)-Indizes bezeichnet.
Ausgangspunkt der Berechnung des Wertes eines
HDD- oder CDD-Index für eine bestimmte Periode, die als Laufzeit
eines Derivats gewählt wird, stellen die HDD- oder CDD-Werte der
einzelnen Tage t dar. Diese werden ausgehend von den an der
Wetterstation gemessenen Tagestemperaturen Yt
(Durchschnittstemperaturen als arithmetisches Mittel zwischen Tageshöchst-
und Tagestiefstwert) ermittelt. Der HDD-Wert eines Tages HDDt
misst die Kälte des Tages relativ zum Referenzwert von 65°F:
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Analog misst der CDD-Wert eines Tages CDDt
die Wärme des Tages relativ zu 65°F:
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Durch Addition dieser täglichen HDD- bzw.
CDD-Werte über die Laufzeit des Derivats, deren Anfang mit T1
und deren Ende mit T2 bezeichnet wird und in den
meisten Fällen einen Kalendermonat oder eine Winter- oder
Sommersaison umfasst, wird ein Index gebildet, dessen Höhe angibt, in
welchem Ausmaß die Durchschnittstemperatur aller Tage innerhalb der
Laufzeit von 65°F abweicht:
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für die Wintersaison bzw.
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für die Sommersaison.
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Der entsprechende Degree-Day-Index nimmt somit
im Falle eines heißen Sommers und im Falle eines strengen Winters große
Werte an und kann als Underlying für ein Derivat herangezogen werden.
Die Wahl des Referenzwertes von 65°F trägt der Temperaturabhängigkeit
des Energieverbrauchs Rechnung: Bei Tagestemperaturen von über 65°F
erhöhen tendenziell Klimaanlagen den Stromverbrauch und in Abhängigkeit
von den technologischen Gegebenheiten den Verbrauch entsprechender
Primärenergieträger in der betreffenden geographischen Region. Bei
geringeren Tagestemperaturen hingegen erhöhen Heizungsanlagen den
Verbrauch der Energieträger Strom, Heizöl und Erdgas. Der
Energieverbrauch eines Tages steigt somit bei positiven wie negativen
Abweichungen von 65°F an, wie in Abb.
1
qualitativ dargestellt.
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Abb.
1
:
Abhängigkeit des kumulierten Energieverbrauchs von der
Tagestemperatur
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Die Notation des Wertes des Degree-Day-Index als kumulierte
Größe der Degree-Day-Werte einzelner Tage resultiert aus dem
Sachverhalt, dass die Korrelation des Degree-Day-Index einer Periode
mit den abgesetzten Energiemengen annähernd perfekt ist.
Im Gegensatz zu der innovativen Konstruktionsweise der
meistverwendeten Underlyings, den Degree-Day-Indizes, entsprechen die
Payoff-Charakteristika von Derivaten auf Degree-Day-Indizes wie auch
Derivate auf andere Wettervariablen den bekannten Strukturen von
Standardderivaten in Form von Optionen und Forwards:
Von den Vertragsparteien wird das sog. Strike Level (in
Degree-Day-Indexpunkten oder als Wert einer anderen Wettervariablen)
vereinbart; dieses entspricht dem Basispreis bzw. Forward-Preis bei
herkömmlichen Derivaten. Der Kontraktwert wird in Form einer Tick
Size festgelegt, welche den Geldbetrag, der einem Punkt des
Degree-Day-Index oder eines alternativen von den Parteien festgelegten
Wetterindex entspricht, beziffert und so den Kontraktwert
determiniert.
Darüber hinaus kommen kombinierte Positionen wie Collars oder
Spread-Positionen zum Einsatz sowie Digitaloptionen, d.h. Optionen,
bei denen bei Fälligkeit ein fixer Betrag gezahlt wird, wenn die
Option in-the-Money ist.
Nachstehend sind die Kontraktparameter von
Wetterderivaten zusammengefasst.
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Tab.
1
Kontraktparameter von
Wetterderivaten
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III.
Märkte für Wetterderivate
Bis
zum vergangenen Sommer stellte sich der Markt für Wetterderivate als
reiner OTC-Markt dar, dominiert von den Handelsabteilungen
amerikanischer Energieunternehmen.
Der US-amerikanische Wettermarkt verzeichnete seit der ersten bekannt
gewordenen Transaktion im September 1997 ein ununterbrochenes Wachstum
mit geschätzten jährlichen Wachstumsraten der Transaktionen zwischen
50% und 100%.
Ursächlich für diesen deutlichen Wachstumstrend war und ist die in
den USA bereits fortgeschrittene Deregulierung der Energiemärkte,
welche den Versorgern die Möglichkeiten der Überwälzung von
wetterbedingten Veränderungen von Erfolgsgrößen auf den Kunden
beschneidet. Der resultierende Hedging-Bedarf belebt die Nachfrage
nach geeigneten Finanzinstrumenten. Darüber hinaus erfolgte 1997 eine
generelle Sensibilisierung der Industrie für Wetterrisiken in Folge
der negativen Effekte des Wetterphänomens „El Niño“ auf den
Geschäftserfolg zahlreicher Unternehmen verschiedenster Branchen.
Eine vergleichbare Entwicklung dürfte in naher Zukunft auch für
Europa erwartet werden, da die in Skandinavien bereits erfolgte und in
Mitteleuropa fortschreitende Liberalisierung der Märkte
Energieunternehmen zu einem effizienten Wetterrisikomanagement zwingt.
Trotz
seines bemerkenswerten Wachstums leidet der OTC-Markt noch heute unter
mangelnder Preistransparenz und an Marktunvollständigkeit, d.h. die
Marktteilnehmer können nicht alle gewünschten Zahlungsströme aus
den zur Verfügung stehenden Wetterderivaten generieren. Diese
Probleme bedingen eine starke Bewertungsunsicherheit, welche sich in
extrem hohen Bid-/Ask-Spreads niederschlägt und sich negativ auf die
Abschlussbereitschaft potentieller Marktteilnehmer auswirkt.
Es
zeichnet sich jedoch eine zunehmende Institutionalisierung des
Wettermarktes ab, die die Voraussetzungen zur Reduzierung dieser
Unsicherheiten schafft: Im September 1999 nahm die Chicago Mercantile
Exchange den Handel in den vorgestellten Degree-Day-Derivaten auf,
wobei die Produktpalette Optionen und Futures auf Degree-Day-Indizes
an zehn ausgewählten US-amerikanischen Wetterstationen mit
einmonatiger Laufzeit umfasst.
Für 2001 plant die LIFFE eine Einführung vergleichbarer Derivate für
fünf europäische Städte.
Dieser Handel standardisierter Degree-Day-Kontrakte durch die Terminbörsen,
wie auch die Einrichtung der OTC-Internet-Handelsplattformen I-Wex und
Tropos-X, ermöglicht erstmals einen Einblick in die Bewertung der
Transaktionen durch die Marktteilnehmer, was zu einem Abbau der
festgestellten Bewertungsunsicherheit beitragen dürfte. Auch wird
durch die monatliche Fälligkeit der börsengehandelten Kontrakte
sowie die geringe Tick Size der CME-Kontrakte von 100 US-$ je
Degree-Day-Indexpunkt die Menge der realisierbaren Zahlungsströme aus
Wetterderivaten vergrößert, was zur Vervollständigung des
Wettermarktes beiträgt.
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IV.
Einsatzgebiete für Wetterderivate
Ihren Hauptanwendungsbereich finden Wetterderivate bis dato im
Risikomanagement von Energieunternehmen. Auch für andere Branchen wie
Landwirtschaft oder Tourismus stellen Wetterderivate jedoch zunehmend
ein interessantes Risikomanagement-Tool dar. Wetterderivate ermöglichen
eine Absicherung gegenüber spezifischen Geschäftsrisiken,
die durch den Einsatz von Finanz- oder Warenterminkontrakten nicht
erreicht werden kann: Wetterrisiken als Volatilität von den
Unternehmenserfolg beeinflussenden Wettervariablen wirken sich bei
Unternehmen zahlreicher Branchen direkt auf Absatz- und
Einstandsmengen aus. Absatz- und Einstandspreise werden durch
Wettervariablen lediglich indirekt beeinflusst. Erfolgt eine Korrektur
des Preises, so ist dies als Reaktion auf ein ggf. wetterbedingtes Überangebot
oder eine Übernachfrage zu verstehen. Wetterrisiken stellen somit
Mengenrisiken dar, wohingegen die durch die Volatilität der Preise
bedingten Risiken Marktrisiken darstellen.
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Abb.
2
: Wetterrisiken als
Mengenrisiken in Absatz und Beschaffung
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Zur Quantifizierung dieser wetterbedingten Mengenrisiken bieten
sich die Verfahren der Regressionsanalyse an: Das Exposure des
betrachteten Unternehmens gegenüber spezifischen Wettervariablen kann
durch eine Regression von Absatz- bzw. Beschaffungsmengen auf die für
deren Volatilität mutmaßlich ursächlichen Wettervariablen anhand
historischer Mengengrößen und Wetterdaten beschrieben werden.
Mit Wetterderivaten stehen Instrumente zum
Hedging dieses Mengenrisikos zur Verfügung, was sich anhand einer
typischen Problemstellung des Energiesektors zeigen lässt:
Energieversorger sehen sich in milden Wintern der Gefahr starker
Umsatzrückgänge gegenüber, da die von Konsumenten zu Heizzwecken
nachgefragten Energiemengen mit steigenden Temperaturen zurückgehen.
In kühlen Sommern droht in Folge der sinkenden Energienachfrage zu Kühlzwecken
dieselbe Gefahr. Eine globale Abbildung dieses Effekts leistet das
Degree-Day-Konzept. So kann man erwarten, dass der Umsatz von
Energieunternehmen positiv mit dem Wert des am Standort des
Unternehmens ermittelten Degree-Day-Index korreliert ist.
Die
Eliminierung dieses Wetterrisikos ist durch den Einsatz von
Wetterderivaten mit dem entsprechenden Degree-Day-Index als Underlying
möglich. Der Payoff der Derivate wirkt, wie in Abb.
3
gezeigt, der Gefahr temperaturbedingter Umsatzrückgänge
entgegen. Das betrachtete Unternehmen kann somit die Position des
Risikoverkäufers einnehmen und gezielt Revenue Hedges mit
Wetterderivaten implementieren:
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Abb. 3: Beispiel: Revenue Hedges mit Degree-Day-Derivaten für
Energieversorger
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Im
vorliegenden Beispiel ermöglicht der Kauf einer Put-Option mit einem
von den Vertragsparteien festgelegten Strike Level K eine
Absicherung der Umsatzerlöse gegen niedrige Realisationen des
Degree-Day-Index. Alternativ zielt das Eingehen einer Short-Position
in einem Degree-Day-Forward auf eine Stabilisierung des Erlösprofils
ab. Eine Short-Position in einem Degree-Day-Collar erscheint besonders
attraktiv, da dieser im Gegensatz zur Option keine Anfangsauszahlung
erfordert, gleichzeitig das Erlösprofil stabilisiert und das
Unternehmen dennoch an geringen Abweichungen des Degree-Day-Index vom
Strike Level in beiden Richtungen partizipiert.
Marktpreisrisiken,
die im angeführten Beispiel aus der Volatilität der Energiepreise
resultieren, können hingegen mit Warenterminkontrakten wie
Energiederivaten, deren Auszahlung vom aktuellen Marktpreis des
Underlyings abhängt, abgesichert werden. Da in der Realität Mengen-
und Marktpreisrisiken zusammenwirken und die Zusammenhänge i.d.R.
nicht linear sind, erscheint für Unternehmen, die ein entsprechendes
Exposure gegenüber der Realisation spezifischer Wettervariablen
aufweisen, die Kombination von Wetterderivaten und Warentermingeschäften
erforderlich.
-
Eine
mögliche Gegenpartei für die dargestellten Hedging-Transaktionen
kann zweierlei Absichten verfolgen:
Die Gegenpartei kann
beabsichtigen, durch den Einsatz von Degree-Day-Derivaten ein eigenes
Wetterrisiko zu eliminieren. In der angesprochenen Problemstellung können
insbesondere die Long-Positionen im Degree-Day-Forward oder -Collar
durch Energiegroßabnehmer eingenommen werden, da diese beim Auftreten
heißer Sommer- und kalter Wintertemperaturen gezwungen sind, mehr
Energie für Heiz- bzw. Kühlzwecke zu beschaffen, was die Kosten
dieser Parteien für die Energiebeschaffung bei hohen
Degree-Day-Indexwerten in die Höhe schnellen lässt.
-
Alternativ zu ihrem Einsatz im
Risikomanagement stellt der Kauf von Wetterrisiken durch private und
institutionelle Investoren, welcher bspw. durch das Eingehen der Short
Position im oben dargestellten Degree-Day-Put erfolgen kann, einen
diskussionswürdigen Ansatz dar. Die Attraktivität der Einbeziehung
von Wetterrisiken in ein Portefeuille liegt darin begründet, dass die
Wertentwicklung von Wetterderivaten von den Finanz- und Gütermärkten
weitgehend unabhängig ist. Wetterderivate dürfen deshalb als eine
eigenständige Asset-Klasse eingestuft werden. Sie erweitern das
Anlagespektrum, da Investoren mit Wetterrisiken eine Risikoart in ihre
Portefeuilles aufnehmen können, die zuvor nicht handelbar war.
Anlegern eröffnet der Wettermarkt somit verbesserte Diversifikationsmöglichkeiten
mit überlegenen Risiko-Rendite-Positionen.
Dass
der Einsatz von Wetterderivaten im Portfoliomanagement nicht nur von
theoretischem Interesse ist, zeigt die Begebung eines „Weather
Bond“ durch die Tochter Koch Energy Trading des US-Konzerns Koch
Industries.
Dieser Bond ist in Form einer Asset-Backed-Transaktion konstruiert.
Die Rückzahlung zweier unterschiedlich gerateter Tranchen nach dreijähriger
Laufzeit hängt von der Performance eines Portefeuilles aus 28
Wetterderivaten ab. Investoren wird also die Möglichkeit gegeben,
Wetterrisiken gezielt in ihr Portefeuille aufzunehmen.
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V.
Die Bewertung von Wetterderivaten
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1.
Besonderheiten der Underlyings
Unternehmen
oder Investoren, die Wetterderivate im Risiko- oder
Portfoliomanagement einsetzen, haben ein Interesse daran, den fairen
Wert der Transaktionen zu kennen. Dies macht den Einsatz von Modellen
notwendig, die eine Bewertung von Wetterderivaten ermöglichen. Bis
dato sind ausschließlich Ansätze zur Bewertung von
Degree-Day-Derivaten veröffentlicht worden, was in der
vergleichsweise großen Bedeutung dieser Derivate begründet ist.
Nachfolgend soll ein Überblick über die existierenden Bewertungsansätze
gegeben werden, wobei die grundlegenden Ansatzpunkte zur Lösung des
Bewertungsproblems für Degree-Day-Derivate herausgegriffen werden.
Die Bewertung von Wetterderivaten im allgemeinen und von
Degree-Day-Derivaten im besonderen gestaltet sich als komplexe
Fragestellung, da das Black/Scholes-Modell in seiner Grundversion zur
Lösung der Bewertungsprobleme nicht herangezogen werden kann, Hierfür
lassen sich zwei Ursachen identifizieren:
-
Wetterderivate sind zumeist
pfadabhängige
Derivate, da ihre Payoffs von der Entwicklung der Wettervariablen über
die gesamte Laufzeit abhängen. So determiniert bspw. die
Temperaturentwicklung während der gesamten Laufzeit, d.h. die
Durchschnittstemperatur jedes einzelnen Tages, den Wert des daraus
abgeleiteten Degree-Day-Index und somit den Payoff eines
Degree-Day-Derivats.
-
Die konzeptionelle Zulässigkeit
einer Black/Scholes-Bewertung ist an die Bildung eines
Duplikationsportfolios gebunden, welches sich zu einem Anteil aus
einer Geldanlage zum risikolosen Zins und zu einem Anteil aus einer
Position im Basisobjekt zusammensetzt. Erforderlich ist also der
physische Besitz des Basisobjekts. Da es unmöglich ist,
Wettervariablen physisch zu besitzen, kann die Bildung eines
Duplikationsportefeuilles nicht gelingen und die Black/Scholes-Methodik
nicht direkt auf die Bewertung von Wetterderivaten übertragen werden.
Es kann jedoch gezeigt werden, dass die Verwendung eines
No-Arbitrage-Arguments, welches dem Black/Scholes-Ansatz konzeptionell
nahe steht, für die Bewertung von Derivaten mit exotischen
Underlyings zulässig ist.
Die
nun folgenden Ansatzpunkte zur Lösung des Bewertungsproblems beziehen
sich stets auf Degree-Day-Derivate. Aus Abb.
4
werden die Konstruktionsmerkmale, welche in Bewertungsmodelle
für Degree-Day-Derivate Eingang finden müssen, ersichtlich:
|
Abb. 4: Bewertungsmodelle für Degree-Day-Derivate
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2. Bewertungsansätze für
Wetterderivate
a)
Die Index Value Simulation Method
Der
Wert eines Degree-Day-Derivats hängt vom Wert des Degree-Day-Index am
Ausübungszeitpunkt ab, da der Indexwert den Payoff des Derivats
bestimmt. Der Degree-Day-Indexwert ist jedoch mit Unsicherheit
behaftet, der Payoff des Derivats deshalb eine stochastische Größe.
Für die Bestimmung des Wertes des Degree-Day-Derivats bei
Vertragsabschluss muss somit diese Unsicherheit explizit berücksichtigt
werden. Für die Modellierung der Stochastik des Degree-Day-Index
bieten sich grundsätzlich zwei Vorgehensweisen an: die Index Value
Simulation Method und die Daily Simulation Method.
Die Index Value Simulation Method (IVSM)
leistet
eine direkte Modellierung des Wertes des Degree-Day-Index bei Fälligkeit
des Derivats. Der Stochastik des Indexwertes wird dadurch Rechnung
getragen, dass geeignete Annahmen hinsichtlich der
Wahrscheinlichkeitsverteilung möglicher Realisationen des
Degree-Day-Indexwertes formuliert werden. Ferner ist im Rahmen der
IVSM eine No-Arbitrage-Bewertung (siehe Abb.
4
) möglich, deren Umsetzbarkeit durch folgende Annahmen
sichergestellt wird:
-
Die Marktteilnehmer sind
risikoneutral. Dieser Risikoneutralität wird dadurch Rechnung
getragen, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilung der realen
Eintrittswahrscheinlichkeiten der Realisationen der Werte des dem
Derivat zu Grunde liegenden HDD- oder CDD-Index bei Ausübung des
Derivats P(HDD/CDD(T1,T2)) durch eine um die am realen Wettermarkt anzunehmende
Risikoaversion korrigierte Wahrscheinlichkeitsverteilung Q(HDD/CDD(T1,T2))
ersetzt wird.
-
Der Markt für
Degree-Day-Derivate ist arbitragefrei. Diese Annahme ist erforderlich,
damit die Verteilung Q(HDD/CDD(T1,T2))
aus den Preisen gehandelter Derivate auf einen spezifischen
Degree-Day-Index ermittelt werden kann.
Gegeben die Wahrscheinlichkeitsverteilung der
Indexwerte Q(HDD/CDD(T1,T2)),
bzw. deren Dichte Q'(HDD/CDD(T1,T2)) in
einer risikoneutralen Welt im Ausübungszeitpunkt T2,
kann der Erwartungswert des Payoff eines beliebigen Derivats auf den
Degree-Day-Index ermittelt werden:
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.
|
Der faire Wert des Degree-Day-Derivats in
t
wird durch Diskontierung dieses erwarteten Payoffs ermittelt. Den adäquaten
Diskontfaktor stellt der risikofreie Zins rf dar, da
annahmegemäß risikoneutrale Investoren auf einem arbitragefreien
Markt keinerlei Vergütung für die Übernahme des in der Volatilität
des Degree-Day-Index begründeten Risikos in Form einer oberhalb des
risikofreien Zinssatzes liegenden Rendite verlangen.
.
Dieses allgemeine Konzept kann nun für
verschiedene Verteilungsannahmen, welche die empirisch ermittelte
Verteilung des Degree-Day-Indexwertes abbilden, spezifisch für jede
Derivatlaufzeit konkretisiert werden: Beispielhaft wird für die
Realisationen des Degree-Day-Index bei Fälligkeit Q(HDD/CDD(T1,T2))
eine Normalverteilungsannahme getroffen, also
Q(HDD/CDD(T1,T2))
~ N(m,s).
An dieser Stelle ist einzuwenden, dass die
modelltheoretische Zulässigkeit negativer Werte des Degree-Day-Index
in Kauf genommen wird, was, da Degree-Day-Indizes keine negativen
Werte annehmen können, konzeptionell problematisch ist. Für Perioden
mit hohen Degree-Day-Indexwerten (d.h. mit langen Derivatlaufzeiten
oder stark von 65°F abweichenden Temperaturen), wie in Abb.
5
beispielhaft dargestellt, erscheint der resultierende Fehler
jedoch gering und die Normalverteilung geeignet, die Stochastik des
Indexwertes approximativ wiederzugeben.
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Abb. 5: Beispiel: Histogramm historischer CDD-Indexwerte (Mai-September,
New York)
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Unter der getroffenen Normalverteilungsannahme
kann nun eine allgemeine Bewertungsformel für Degree-Day-Derivate der
Form
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aufgestellt werden. Die besondere Attraktivität dieses Ansatzes
besteht darin, dass es im Falle normalverteilter Indexwerte möglich
ist, eine analytische Lösung für das Bewertungsproblem abzuleiten.
So kann beispielhaft der Wert eines Call auf den Degree-Day-Index mit
dem Strike Level (Basispreis) K, welcher bei Fälligkeit max(HDD/CDD(T1,T2)
– K,0) zurückzahlt, angegeben werden als
|
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m und
s bezeichnen
Erwartungswert und Standardabweichung des Degree-Day-Indexwertes für
die Laufzeit des Call, F
den Wert der Standardnormalverteilung und f deren
Dichte.
Die Herleitung dieser geschlossenen Bewertungsformel für Calls,
ebenso wie die hier nicht wiedergegebene Bewertungsformel für Puts,
stellt ein optionspreistheoretisches Standardproblem dar, welches in
der Literatur bereits gelöst wurde.
Ferner kann der Forward-Preis, definiert als dasjenige Strike Level,
bei dem der Wert der Transaktion bei Vertragsabschluss gleich null
ist, durch Replikation des Forward durch jeweils einen Put und einen
Call sowie Ausnützen der Put-Call-Parität ermittelt werden.
Im Gegensatz zu den obigen Ausführungen steht
der Fall kurzer Derivatlaufzeiten mit entsprechend geringen
Erwartungswerten des Degree-Day-Index. In diesem Fall erscheint eine
Normalverteilung nicht geeignet, die Stochastik des Indexwertes
abzubilden, wie beispielhaft aus Abb.
6
deutlich wird.
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Abb. 6: Beispiel: Histogramm historischer
HDD-Indexwerte (Januar, New York)
|
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Hier kann die modelltheoretische Zulässigkeit negativer
Indexwerte zu signifikanten Verzerrungen in den errechneten Optionsprämien
führen. In diesen Fällen erscheinen andere Verteilungstypen wie
bspw. die Lognormalverteilung oder eine am Wert null gestutzte
Normalverteilung geeigneter, die Stochastik des Degree-Day-Index zu
modellieren. Für den ersten Fall ist ebenfalls die analytische Lösbarkeit
gegeben, die Bewertungsformel für einen Degree-Day-Call entspricht
formal derjenigen von Black/Scholes.
Die Praktikabilität dieses Verfahrens unter
Einbindung der IVSM ist, obwohl die analytische Lösbarkeit die
Attraktivität des vorgeschlagenen Ansatzes erhöht, unter zweierlei
Gesichtspunkten fragwürdig:
-
Die Konstruktion der IVSM
weist eine Schwachstelle auf: Jede Bewertung von Transaktionen, welche
unterschiedliche Laufzeiten aufweisen, erfordert eine eigene
Spezifikation der Verteilung der Degree-Day-Indexwerte. Diese
Spezifikation ist mit hohem statistischen Aufwand verbunden und kann
zu Inkonsistenzen in der Bewertung von Derivaten mit unterschiedlichen
Laufzeiten führen.
-
Die praktische Umsetzbarkeit
einer No-Arbitrage-Bewertung wird dadurch gefährdet, dass
Arbitragefreiheit für den Markt für Degree-Day-Derivate als Segment
des Wettermarktes nicht zwangsläufig unterstellt werden kann. Die
Preise der OTC-Wetterderivate sind nicht beobachtbar, weshalb
bestehende Preisdifferenzen für identische Degree-Day-Kontrakte nicht
konsequent arbitriert werden können. Hier übernimmt der Handel an
der CME und voraussichtlich auch an der LIFFE eine wichtige Funktion:
Die Preistransparenz im Börsenhandel fördert den Abbau von
Bewertungsdifferenzen, was in einem dynamischen Kontext schließlich
in Arbitragefreiheit resultiert.
b)
Die Daily Simulation
Method
Angesichts der genannten Schwierigkeiten, die
die IVSM mit sich bringt, ist oftmals der Daily Simulation Method (DSM)
der Vorzug zu geben. Diese leistet ebenfalls eine Modellierung des
Degree-Day-Indexwertes bei Fälligkeit des Derivats, jedoch über den
Umweg, dass die Quelle der Unsicherheit die stochastische Entwicklung
der Tagestemperatur über die Laufzeit des Degree-Day-Derivats
darstellt und insofern Ansatzpunkt der Modellierung ist. Der Wert des
Degree-Day-Index wird erst in einem zweiten Schritt ermittelt: Die
Entwicklung der Tagestemperatur kann in Form eines stochastischen
Prozesses modelliert werden, wobei die Schrittweite zwischen den
einzelnen Realisationen einen Tag beträgt.
Die Formulierung eines stochastischen
Prozesses, welcher die Temperaturentwicklung im Zeitablauf
widerspiegelt, gestaltet sich jedoch als wesentlich komplexere Aufgabe
als die Beschreibung der Dynamik von Aktienkursen, wie sie bspw. in
Form eines geometrischen Wiener Prozesses im Black/Scholes-Modell
erfolgt:
-
Tagestemperaturen weisen im
Gegensatz zu Aktienkursen ausgeprägte Saisoneinflüsse auf, welche
durch den Jahreszeitenrhythmus bedingt sind, wie das nachstehende
Autokorrelogramm der Tagestemperatur in New York am 31.12.1998
erkennen lässt.
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Abb.
7
: Autokorrelationsfunktion für
die Tagestemperatur in New York
|
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-
Die Temperaturzeitreihe eines einzelnen Jahres ist stark
heteroskedastisch, da die Volatilität der Tagestemperaturen für
verschiedene Jahre in der Wintersaison signifikant über dem Niveau
der Sommersaison liegt, was aus Abb. 8 deutlich wird:
|
Abb.
8
: Volatilität der Tagestemperaturen innerhalb
eines Jahres in New York
|
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Der Prozess der Tagestemperatur
Ein
stochastischer Prozess, der diesen Anforderungen gerecht wird, wurde
von Cao/Wei ausgearbeitet:
Cao/Wei nehmen an, dass der Erwärmungstrend in Form eines linearen
Trends sowie die Saisonfigur, d.h. ein langfristig gültiges
Durchschnittsniveau für jeden der 365 Tage eines Jahres, festgestellt
werden können. Die Saisonfigur, nachstehend mit St
bezeichnet, kann für jedes Datum als arithmetisches Mittel der
Tagestemperaturen desselben Datums der Vorjahre ermittelt werden,
wobei eine Länge der Temperaturzeitreihe von 20 Jahren als geeignet
angesehen wird. Der lineare Trend, welcher mit Lt
bezeichnet sei, gibt wieder, in welchem Ausmaß die Temperatur eines
bestimmten Tages von diesem historischen Durchschnitt abweicht.
Diese beiden Parameter bestimmen die Grundtendenz der
Temperaturdynamik und sind deterministische Größen. Der Trend wird
von einer irregulär schwankenden Komponente, dem Residuum Ut,
überlagert. Die Tagestemperatur Yt
kann durch Addition dieser drei Parameter beschrieben werden:
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Das
Residuum Ut als
stochastische Größe wird durch einen autoregressiven Prozess
erzeugt:
|
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Der
die Gestalt des Prozesses charakterisierende Parameter ist der
Autokorrelationskoeffizient ri.
Er ermöglicht die Berücksichtigung der Abhängigkeit der
Tagestemperatur eines Tages t
von der Tagestemperatur der vorausgegangenen Tage, deren Abstand zum
betrachteten Tag durch einen Lag der Länge i
beziffert wird. Die optimale Lag-Länge k
wird von den Autoren mit k=3
festgelegt, d.h. eine realitätsgetreue Abbildung der
Temperaturentwicklung gelingt optimal bei einer Abhängigkeit der
Residuen von den Residuen der vorausgegangenen drei Tage, wobei der
Autokorrelationskoeffizient Werte nahe eins annimmt.
Die
Zufallsvariable et
~ N(0,1) stellt als White
Noise die Quelle der Stochastik der Temperaturdynamik dar.
Ferner
muss in die stochastische Komponente ein datumsabhängiger Volatilitätsparameter
vt eingehen, so
dass die oben festgestellte Heteroskedastizität der
datumsspezifischen Temperaturen Modellbestandteil werden kann. Dies
kann in Form einer datumsabhängigen Sinusschwingung der Form
erfolgen,
welche die durch die Zufallsvariable et
ausgelösten irregulären Schwankungen verstärkt. Mittels
eines dergestalt konzipierten Prozesses können nun Temperaturpfade
simuliert werden. So kann z.B. im Rahmen einer Monte-Carlo-Simulation
sukzessive für jedes Datum eine standardnormalverteilte Zufallszahl
gezogen werden, mit deren Hilfe unter Berücksichtigung der durch den
Prozess vorgegebenen Abhängigkeiten von den Temperaturen (oder, wie
im Beispiel, von den Residuen) vorausgegangener Tage eine
Temperaturzeitreihe generiert wird. Für jeden Temperaturpfad lassen
sich die Degree-Day-Werte einzelner Tage und durch deren Addition über
die Laufzeit des zu bewertenden Derivats letztlich der
Degree-Day-Indexwert bei Fälligkeit ermitteln, welcher unmittelbar
den Payoff des Derivats determiniert.
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Bewertung im Gleichgewichtsmodell
Die
Bewertung beliebiger Degree-Day-Derivate erfolgt auch im Rahmen der
DSM durch Diskontieren des Erwartungswertes. An dieser Stelle ergibt
sich ein substantieller Unterschied zur IVSM: Der Erwartungswert des
Degree-Day-Index wird unter Zugrundelegung der Verteilung der
Eintrittswahrscheinlichkeiten erzeugt, welche die reale Entwicklung
der Temperaturdynamik abbilden, also unter P(HDD/CDD(T1,T2)).
Eine ex-ante-Korrektur um die Risikoaversion der Investoren wie im
zuvor dargestellten No-Arbitrage-Modell erfolgt nicht, weshalb keine
Risikoneutralitätsannahme getroffen wird. Die Formulierung eines
Modells als No-Arbitrage-Ansatz, welches sich der DSM bedient, kann in
der Tat nicht gelingen: Am Markt vergütet wird das der Stochastik des
Degree-Day-Index inhärente Risiko. Aus den Preisen gehandelter
Kontrakte kann somit lediglich die Bewertung dieses gehandelten
Risikos durch die Marktteilnehmer ermittelt werden. Da ein ex-post
ermittelter Wert des Degree-Day-Index als kumulierte Größe eine
Identifikation der ursprünglichen Temperaturentwicklung, die den
Indexwert generiert hat, nicht zulässt, kann eine auf die Stochastik
der Tagestemperatur bezogene Risikobewertung durch die Marktteilnehmer
nicht sinnvoll definiert und somit auch nicht ex ante aus dem
Bewertungsansatz eliminiert werden.
Eine
Bewertung von Degee-Day-Derivaten kann im Rahmen der DSM also nur präferenzabhängig
erfolgen: Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die
Investoren eine Kompensation für die Übernahme des in der Volatilität
des Degree-Day-Index begründeten Risikos, welches sich auf die
Volatilität der Rendite von Degree-Day-Derivaten auswirkt, verlangen
und deshalb die erwarteten Renditen von Degree-Day-Derivaten Risikoprämien
umfassen.
Für
die Bestimmung der erwarteten Rendite E(ri)
eines Degree-Day-Derivats, welche dem adäquaten Diskontfaktor für
den erwarteten Payoff von Degree-Day-Derivaten entspricht, kann ein Gleichgewichtsmodell (siehe Abb.
4
), wie bspw. das CAPM oder seine Erweiterungen, zur Anwendung
kommen. So wird in Verbindung mit dem vorgestellten autoregressiven
Prozess ein Modell zur Ableitung eines risikoadjustierten
Diskontfaktors vorgeschlagen, welches sich in den Rahmen eines
mehrperiodigen Consumption Based CAPM (CCAPM) einfügt:
In diesem Ansatz wird explizit eine Abhängigkeit der
realwirtschaftlichen Entwicklung einer Volkswirtschaft von der
Temperaturentwicklung zugelassen, was in Folge der festgestellten
Wetterabhängigkeit betrieblicher Erfolgsgrößen zahlreicher Branchen
eine plausible Annahme darstellt. Dies bedeutet, dass die Rendite des
Marktportfolios mit der Rendite von Degree-Day-Derivaten korrelieren
kann. Bei Existenz dieser Abhängigkeit kann das den
Degree-Day-Derivaten innewohnende Risiko in eine idiosynkratische und
eine systematische Komponente aufgespalten werden, wovon letztere
durch die Korrelation zwischen der Rendite des Marktportfolios und der
Rendite des betrachteten Degree-Day-Derivats determiniert wird. Die Höhe
der Risikoprämie, welche am gleichgewichtigen Markt für die Übernahme
des Wetterrisikos in Form einer vom risikofreien Zins abweichenden
erwarteten Rendite vergütet wird, wird allein durch das systematische
Risiko bestimmt.
Unter
Verwendung des im Rahmen eines Gleichgewichtsmodells ermittelten
Erwartungswertes seiner Rendite berechnet sich der Wert eines
Degree-Day-Derivats in t mit
.
Bei
der DSM wird der erwartete Payoff des Derivats zum Ausübungszeitpunkt
T2 durch die beschriebene Simulation einer großen Zahl
an Temperaturpfaden und den dazugehörigen Derivat-Payoffs generiert.
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c) Modellvergleich
Es
bleibt festzuhalten, dass im Rahmen der DSM die Modellierung der
Temperaturdynamik wesentlich exakter erfolgen kann als bei der IVSM
und, da saisonale Schwankungen in den Temperaturprozess integriert
werden können, nur eine einzige Spezifikation der Parameter dieses
Prozesses vonnöten ist.
Darüber
hinaus sind die Voraussetzungen für die Implementierbarkeit der
Gleichgewichtsbewertung in einer Hinsicht schwächer als die
Voraussetzungen für die Möglichkeit einer No-Arbitrage-Bewertung:
Die Existenz beobachtbarer Preise anderer Wertpapiere ist nicht
erforderlich, da Preise nicht Inputgröße des Modells sind, sondern
modellendogen aus geeigneten Annahmen (wie bspw. der Gültigkeit des
CAPM) abgeleitet werden. Die Anwendbarkeit dieser Modellkonzeption
wird durch die aktuellen Probleme des Wettermarktes, d.h. seine
Unvollständigkeit sowie die nicht auszuschließende Existenz von
Arbitragemöglichkeiten, nicht behindert.
Als
Preis für die Vorzüge der Gleichgewichtsbewertung unter Einbindung
der DSM sind jedoch zahlreiche Parameter zu schätzen. Auch können
bei der DSM geschlossene Lösungen für die Derivatpreise i.d.R. nicht
ermittelt werden.
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VI.
Zusammenfassung
In
den vorausgegangenen Ausführungen wurde das neuartige
Kapitalmarktprodukt Wetterderivat vorgestellt und seine Einsatzmöglichkeiten
in Risiko- und Portfoliomanagement aufgezeigt, wobei eine Einbeziehung
von Wetterrisiken in Anlegerportefeuilles unter
Diversifikationsgesichtspunkten als ökonomisch sinnvoll erachtet
werden darf. Nennenswerte Herausforderungen bietet die Bewertung von
Wetterderivaten: Es wurden zwei unterschiedliche Ansätze zur Lösung
des Bewertungsproblems speziell für Degree-Day-Derivate erläutert
und im Hinblick auf ihre Zweckmäßigkeit angesichts bestehender
faktischer Probleme des Wettermarktes untersucht. Die Index Value
Simulation Method besitzt den Vorteil, dass geschlossene Lösungen für
Derivatpreise prinzipiell ermittelbar sind, jedoch stellt sie in der
vorgestellten Version eines No-Arbitrage-Modells hohe Anforderungen an
den Entwicklungsstand des Wettermarktes. Diesen Nachteil beseitigt die
in ein Gleichgewichtsmodell eingebettete, exaktere Daily Simulation
Method, da die Preise gehandelter Derivate keine Inputgrößen des
Modells darstellen.
Für
die zukünftige Entwicklung des Wettermarkte lassen sich zwei
Tendenzen identifizieren: Am Wettermarkt zeichnet sich eine zunehmende
Standardisierung und Institutionalisierung ab. Mit der an der CME
bereits erfolgten und durch die LIFFE geplanten Aufnahme des Börsenhandels
in Degree-Day-Derivaten u. a. für München und Hamburg kommt diesem
Derivattyp die Funktion eines liquiden Standard-Wetterkontraktes zu,
was dem Markt für Degree-Day-Derivate über seine Bedeutung für das
Risikomanagement von Energieunternehmen hinaus eine hohe Attraktivität
für das Management auch deutscher Anlegerportefeuilles verleiht.
Die
Tatsache, dass der Wettermarkt bereits das Interesse von Unternehmen
verschiedener Branchen jenseits des Energiesektors geweckt hat, löst
einen der Standardisierung entgegenlaufenden Trend aus. Da in anderen
Branchen der Geschäftserfolg von unterschiedlichen Wettervariablen
abhängt, ist mit einem Anstieg der Abschlüsse maßgeschneiderter
Transaktionen auf Wettervariablen zu rechnen, welche im Gegensatz zu
Degree-Day-Indizes nicht aus der Temperatur abgeleitet werden.
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