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Antje Schirm  

Dipl.-Kffr. Antje Schirm ist Doktorandin des Graduiertenkollegs „Allokation auf Finanz- und Gütermärkten“ der Universität Mannheim und beschäftigt sich im Rahmen ihrer Promotion mit operativen Risiken, wie bspw. Wetter- oder Katastrophenrisiken und insbesondere ihrem Transfer über die Kapitalmärkte.  

Dezember 2000

Originalartikel! (PDF-File)

____________________________________________________________________

 

Wetterderivate - Finanzmarktprodukte für das Management wetterbedingter Geschäftsrisiken

 

I. Einleitung

 

In jüngster Vergangenheit hat der Handel einer Klasse von derivativen Finanzprodukten auf den internationalen Kapitalmärkten Gestalt angenommen, die sich von herkömmlichen Finanzderivaten in bemerkenswerter Weise unterscheiden: Wetterderivate leiten ihren Payoff aus der Entwicklung von Wetterparametern wie Temperatur, Niederschlagsmenge oder Windgeschwindigkeit ab. Sie ermöglichen so die Verbriefung von Risiken, die nicht in den Marktwertänderungen gehandelter Assets bedingt sind, sondern aus der Unsicherheit über das Wetter resultieren. Obwohl der Gedanke der Verbriefung von Wetterrisiken auf den ersten Blick befremdlich erscheinen mag, hat der Wettermarkt zum heutigen Zeitpunkt bereits eine gewisse Reife erreicht. Dies wird neben der Gründung von Internet-Handelsplattformen wie dem deutschen Start-Up-Unternehmen Tropos-X oder der britischen I-Wex (International Weather Exchange) insbesondere in der Aufnahme des Börsenhandels in einer speziellen Klasse von Wetterderivaten durch die Chicago Mercantile Exchange im September 1999 und der Absicht der LIFFE, ihre Produktpalette ebenfalls um Wetterderivate zu erweitern,  deutlich.[1] Für 2001 plant die LIFFE eine Einführung von Wetterderivaten für fünf europäische Städte, darunter Hamburg und München.

Zahlreiche Industriezweige, wie bspw. die Energie-, Versicherungs-, Tourismus-, Agrar-, Bau- oder Konsumgüterindustrie werden infolge der Wetterabhängigkeit von Umsatz und Kostenparametern bereits von geringen Wetterveränderungen möglicherweise sehr regelmäßig beeinflusst. Deshalb kann ein systematisches Management der Folgen von Wetterphänomenen entscheidend für den Erhalt oder den Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit verschiedenster Unternehmen sein.  

Seit 1997 werden Wetterderivate als Kapitalmarktprodukte eingesetzt, die die unerwünschten wirtschaftlichen Folgen adverser Witterungsbedingungen abschwächen. Hierbei kommt eine Vorreiterrolle US-amerikanischen Energieunternehmen zu, denn die Auszahlungen von Wetterderivaten können die wetterbedingten Schwankungen der angesprochenen Erfolgsgrößen kompensieren. Für private und institutionelle Anleger, welche als Käufer von Wetterrisiken auftreten, bietet der Wettermarkt ebenfalls Chancen, da Wetterderivate einen wertvollen Beitrag zur Portfoliodiversifikation leisten können.

Im vorliegenden Beitrag soll die Konstruktion des neuartigen Finanzprodukts Wetterderivat erläutert werden, wobei der Konzeption möglicher Underlyings besonderes Augenmerk zukommt. Ein Überblick über den noch jungen Wettermarkt schließt sich an. Nachfolgend wird aufgezeigt, wie Wetterrisiken den Unternehmenserfolg beeinflussen können und welchen Beitrag Wetterderivate zum Hedging dieser Risiken leisten können. Abschließend werden Ansätze zur Bewertung von Wetterderivaten vorgestellt und für die am häufigsten eingesetzten Wetterderivate, sog. Degree-Day-Derivate, konkretisiert.  

 

II. Wetterderivate: Derivative Finanzinstrumente mit exotischen Underlyings  

 

Wetterderivate zeichnen sich gegenüber der Mehrheit der gehandelten derivativen Instrumente dadurch aus, dass ihre Underlyings keinerlei Verbindung zu Finanz- oder Gütermärkten aufweisen. Bei den Underlyings von Wetterderivaten handelt es sich um Wettervariablen wie Temperatur, Niederschlag (Regen- oder Schneehöhe), Sonnenstunden oder Windgeschwindigkeit, wobei die Ausprägungen dieser Variablen meist in Form eines zweckmäßig konstruierten Index notiert werden, der die Entwicklung der relevanten Variablen über einen gegebenen Zeitraum abbildet.[2]  

Da Wettervariablen keine physischen Assets darstellen, sind diese weder handel- noch lagerbar oder im Portfolio replizierbar und sind insofern als vergleichsweise exotisch einzustufen. Dennoch sind die zugrunde liegenden Größen objektiv quantifizierbar, so dass an deren Realisierungen die Payoffs von Derivaten geknüpft werden können.  

Wetterderivate werden zwischen zwei Kontraktparteien abgeschlossen. Diejenige Partei, die die wetterbedingte Variabilität ihres Geschäftserfolges abzusichern versucht, tritt als Risikoverkäufer auf. Die Gegenpartei übernimmt das aus der Volatilität der festgelegten Wettervariablen resultierende ökonomische Risiko und fungiert deshalb als Risikokäufer; sie kann alternativ aber auch beabsichtigen, ein eigenes wetterbedingtes Geschäftsrisiko zu kompensieren.  

Von den zahlreichen möglichen Wettervariablen als Underlyings kommt der Temperatur die mit Abstand größte Bedeutung zu.[3] Dies ist in der Entstehung des Marktes für Wetterderivate begründet: Bis zum heutigen Zeitpunkt sind die Verwender von Wetterderivaten hauptsächlich im Energiesektor angesiedelt. Die Temperaturentwicklung stellt einen wesentlichen Einflussfaktor für den Geschäftserfolg von Energieproduzenten und -großabnehmern dar, da die Absatzmengen von Energieträgern (Strom, Erdgas und Heizöl) in Abhängigkeit vom Temperaturverlauf während einer Betrachtungsperiode variieren.[4]

Als Underlyings für temperaturabhängige Wetterderivate finden zumeist Degree-Day-Indizes Verwendung.[5] Degree-Day-Indizes bilden das Ausmaß ab, in dem die Temperaturentwicklung an einer festgelegten Wetterstation über einen gegebenen Zeitraum von einem Referenzwert von 65° Fahrenheit (18,33° Celsius) abweicht. Degree-Day-Indizes werden für das Winterhalbjahr vom 1. November bis zum 31. März als Heating-Degree-Day (HDD)-Indizes und für das Sommerhalbjahr vom 1. April bis zum 31. Oktober als Cooling-Degree-Day (CDD)-Indizes bezeichnet.  

Ausgangspunkt der Berechnung des Wertes eines HDD- oder CDD-Index für eine bestimmte Periode, die als Laufzeit eines Derivats gewählt wird, stellen die HDD- oder CDD-Werte der einzelnen Tage t dar. Diese werden ausgehend von den an der Wetterstation gemessenen Tagestemperaturen Yt (Durchschnittstemperaturen als arithmetisches Mittel zwischen Tageshöchst- und Tagestiefstwert) ermittelt. Der HDD-Wert eines Tages HDDt misst die Kälte des Tages relativ zum Referenzwert von 65°F:

 

 

Analog misst der CDD-Wert eines Tages CDDt die Wärme des Tages relativ zu 65°F:

 

Durch Addition dieser täglichen HDD- bzw. CDD-Werte über die Laufzeit des Derivats, deren Anfang mit T1 und deren Ende mit T2 bezeichnet wird und in den meisten Fällen einen Kalendermonat oder eine Winter- oder Sommersaison umfasst, wird ein Index gebildet, dessen Höhe angibt, in welchem Ausmaß die Durchschnittstemperatur aller Tage innerhalb der Laufzeit von 65°F abweicht:

 

für die Wintersaison bzw.

für die Sommersaison.

 

Der entsprechende Degree-Day-Index nimmt somit im Falle eines heißen Sommers und im Falle eines strengen Winters große Werte an und kann als Underlying für ein Derivat herangezogen werden.

Die Wahl des Referenzwertes von 65°F trägt der Temperaturabhängigkeit des Energieverbrauchs Rechnung: Bei Tagestemperaturen von über 65°F erhöhen tendenziell Klimaanlagen den Stromverbrauch und in Abhängigkeit von den technologischen Gegebenheiten den Verbrauch entsprechender Primärenergieträger in der betreffenden geographischen Region. Bei geringeren Tagestemperaturen hingegen erhöhen Heizungsanlagen den Verbrauch der Energieträger Strom, Heizöl und Erdgas. Der Energieverbrauch eines Tages steigt somit bei positiven wie negativen Abweichungen von 65°F an, wie in Abb. 1 qualitativ dargestellt.[6]

 

 

Abb. 1 : Abhängigkeit des kumulierten Energieverbrauchs von der Tagestemperatur

 

 

Die Notation des Wertes des Degree-Day-Index als kumulierte Größe der Degree-Day-Werte einzelner Tage resultiert aus dem Sachverhalt, dass die Korrelation des Degree-Day-Index einer Periode mit den abgesetzten Energiemengen annähernd perfekt ist.[7]  

Im Gegensatz zu der innovativen Konstruktionsweise der meistverwendeten Underlyings, den Degree-Day-Indizes, entsprechen die Payoff-Charakteristika von Derivaten auf Degree-Day-Indizes wie auch Derivate auf andere Wettervariablen den bekannten Strukturen von Standardderivaten in Form von Optionen und Forwards[8]: Von den Vertragsparteien wird das sog. Strike Level (in Degree-Day-Indexpunkten oder als Wert einer anderen Wettervariablen) vereinbart; dieses entspricht dem Basispreis bzw. Forward-Preis bei herkömmlichen Derivaten. Der Kontraktwert wird in Form einer Tick Size festgelegt, welche den Geldbetrag, der einem Punkt des Degree-Day-Index oder eines alternativen von den Parteien festgelegten Wetterindex entspricht, beziffert und so den Kontraktwert determiniert.  

Darüber hinaus kommen kombinierte Positionen wie Collars oder Spread-Positionen zum Einsatz sowie Digitaloptionen, d.h. Optionen, bei denen bei Fälligkeit ein fixer Betrag gezahlt wird, wenn die Option in-the-Money ist.[9]  

Nachstehend sind die Kontraktparameter von Wetterderivaten zusammengefasst.

 

 

Tab. 1 Kontraktparameter von Wetterderivaten  

 

 

 

III. Märkte für Wetterderivate

 

Bis zum vergangenen Sommer stellte sich der Markt für Wetterderivate als reiner OTC-Markt dar, dominiert von den Handelsabteilungen amerikanischer Energieunternehmen.[10] Der US-amerikanische Wettermarkt verzeichnete seit der ersten bekannt gewordenen Transaktion im September 1997 ein ununterbrochenes Wachstum mit geschätzten jährlichen Wachstumsraten der Transaktionen zwischen 50% und 100%.[11] Ursächlich für diesen deutlichen Wachstumstrend war und ist die in den USA bereits fortgeschrittene Deregulierung der Energiemärkte, welche den Versorgern die Möglichkeiten der Überwälzung von wetterbedingten Veränderungen von Erfolgsgrößen auf den Kunden beschneidet. Der resultierende Hedging-Bedarf belebt die Nachfrage nach geeigneten Finanzinstrumenten. Darüber hinaus erfolgte 1997 eine generelle Sensibilisierung der Industrie für Wetterrisiken in Folge der negativen Effekte des Wetterphänomens „El Niño“ auf den Geschäftserfolg zahlreicher Unternehmen verschiedenster Branchen.[12] Eine vergleichbare Entwicklung dürfte in naher Zukunft auch für Europa erwartet werden, da die in Skandinavien bereits erfolgte und in Mitteleuropa fortschreitende Liberalisierung der Märkte Energieunternehmen zu einem effizienten Wetterrisikomanagement zwingt.  

Trotz seines bemerkenswerten Wachstums leidet der OTC-Markt noch heute unter mangelnder Preistransparenz und an Marktunvollständigkeit, d.h. die Marktteilnehmer können nicht alle gewünschten Zahlungsströme aus den zur Verfügung stehenden Wetterderivaten generieren. Diese Probleme bedingen eine starke Bewertungsunsicherheit, welche sich in extrem hohen Bid-/Ask-Spreads niederschlägt und sich negativ auf die Abschlussbereitschaft potentieller Marktteilnehmer auswirkt.[13]  

Es zeichnet sich jedoch eine zunehmende Institutionalisierung des Wettermarktes ab, die die Voraussetzungen zur Reduzierung dieser Unsicherheiten schafft: Im September 1999 nahm die Chicago Mercantile Exchange den Handel in den vorgestellten Degree-Day-Derivaten auf, wobei die Produktpalette Optionen und Futures auf Degree-Day-Indizes an zehn ausgewählten US-amerikanischen Wetterstationen mit einmonatiger Laufzeit umfasst.[14] Für 2001 plant die LIFFE eine Einführung vergleichbarer Derivate für fünf europäische Städte.[15] Dieser Handel standardisierter Degree-Day-Kontrakte durch die Terminbörsen, wie auch die Einrichtung der OTC-Internet-Handelsplattformen I-Wex und Tropos-X, ermöglicht erstmals einen Einblick in die Bewertung der Transaktionen durch die Marktteilnehmer, was zu einem Abbau der festgestellten Bewertungsunsicherheit beitragen dürfte. Auch wird durch die monatliche Fälligkeit der börsengehandelten Kontrakte sowie die geringe Tick Size der CME-Kontrakte von 100 US-$ je Degree-Day-Indexpunkt die Menge der realisierbaren Zahlungsströme aus Wetterderivaten vergrößert, was zur Vervollständigung des Wettermarktes beiträgt.  

 

IV. Einsatzgebiete für Wetterderivate

 

Ihren Hauptanwendungsbereich finden Wetterderivate bis dato im Risikomanagement von Energieunternehmen. Auch für andere Branchen wie Landwirtschaft oder Tourismus stellen Wetterderivate jedoch zunehmend ein interessantes Risikomanagement-Tool dar. Wetterderivate ermöglichen eine Absicherung gegenüber spezifischen Geschäftsrisiken[16], die durch den Einsatz von Finanz- oder Warenterminkontrakten nicht erreicht werden kann: Wetterrisiken als Volatilität von den Unternehmenserfolg beeinflussenden Wettervariablen wirken sich bei Unternehmen zahlreicher Branchen direkt auf Absatz- und Einstandsmengen aus. Absatz- und Einstandspreise werden durch Wettervariablen lediglich indirekt beeinflusst. Erfolgt eine Korrektur des Preises, so ist dies als Reaktion auf ein ggf. wetterbedingtes Überangebot oder eine Übernachfrage zu verstehen. Wetterrisiken stellen somit Mengenrisiken dar, wohingegen die durch die Volatilität der Preise bedingten Risiken Marktrisiken darstellen.[17]  

 

Abb. 2 : Wetterrisiken als Mengenrisiken in Absatz und Beschaffung

 

 

 

Zur Quantifizierung dieser wetterbedingten Mengenrisiken bieten sich die Verfahren der Regressionsanalyse an: Das Exposure des betrachteten Unternehmens gegenüber spezifischen Wettervariablen kann durch eine Regression von Absatz- bzw. Beschaffungsmengen auf die für deren Volatilität mutmaßlich ursächlichen Wettervariablen anhand historischer Mengengrößen und Wetterdaten beschrieben werden.[18]  

Mit Wetterderivaten stehen Instrumente zum Hedging dieses Mengenrisikos zur Verfügung, was sich anhand einer typischen Problemstellung des Energiesektors zeigen lässt: Energieversorger sehen sich in milden Wintern der Gefahr starker Umsatzrückgänge gegenüber, da die von Konsumenten zu Heizzwecken nachgefragten Energiemengen mit steigenden Temperaturen zurückgehen. In kühlen Sommern droht in Folge der sinkenden Energienachfrage zu Kühlzwecken dieselbe Gefahr. Eine globale Abbildung dieses Effekts leistet das Degree-Day-Konzept. So kann man erwarten, dass der Umsatz von Energieunternehmen positiv mit dem Wert des am Standort des Unternehmens ermittelten Degree-Day-Index korreliert ist.  

Die Eliminierung dieses Wetterrisikos ist durch den Einsatz von Wetterderivaten mit dem entsprechenden Degree-Day-Index als Underlying möglich. Der Payoff der Derivate wirkt, wie in Abb. 3 gezeigt, der Gefahr temperaturbedingter Umsatzrückgänge entgegen. Das betrachtete Unternehmen kann somit die Position des Risikoverkäufers einnehmen und gezielt Revenue Hedges mit Wetterderivaten implementieren:

 

Abb. 3: Beispiel: Revenue Hedges mit Degree-Day-Derivaten für Energieversorger  

 

 

Im vorliegenden Beispiel ermöglicht der Kauf einer Put-Option mit einem von den Vertragsparteien festgelegten Strike Level K eine Absicherung der Umsatzerlöse gegen niedrige Realisationen des Degree-Day-Index. Alternativ zielt das Eingehen einer Short-Position in einem Degree-Day-Forward auf eine Stabilisierung des Erlösprofils ab. Eine Short-Position in einem Degree-Day-Collar erscheint besonders attraktiv, da dieser im Gegensatz zur Option keine Anfangsauszahlung erfordert, gleichzeitig das Erlösprofil stabilisiert und das Unternehmen dennoch an geringen Abweichungen des Degree-Day-Index vom Strike Level in beiden Richtungen partizipiert.  

Marktpreisrisiken, die im angeführten Beispiel aus der Volatilität der Energiepreise resultieren, können hingegen mit Warenterminkontrakten wie Energiederivaten, deren Auszahlung vom aktuellen Marktpreis des Underlyings abhängt, abgesichert werden. Da in der Realität Mengen- und Marktpreisrisiken zusammenwirken und die Zusammenhänge i.d.R. nicht linear sind, erscheint für Unternehmen, die ein entsprechendes Exposure gegenüber der Realisation spezifischer Wettervariablen aufweisen, die Kombination von Wetterderivaten und Warentermingeschäften erforderlich.

  • Eine mögliche Gegenpartei für die dargestellten Hedging-Transaktionen kann zweierlei Absichten verfolgen: Die Gegenpartei kann beabsichtigen, durch den Einsatz von Degree-Day-Derivaten ein eigenes Wetterrisiko zu eliminieren. In der angesprochenen Problemstellung können insbesondere die Long-Positionen im Degree-Day-Forward oder -Collar durch Energiegroßabnehmer eingenommen werden, da diese beim Auftreten heißer Sommer- und kalter Wintertemperaturen gezwungen sind, mehr Energie für Heiz- bzw. Kühlzwecke zu beschaffen, was die Kosten dieser Parteien für die Energiebeschaffung bei hohen Degree-Day-Indexwerten in die Höhe schnellen lässt.

  • Alternativ zu ihrem Einsatz im Risikomanagement stellt der Kauf von Wetterrisiken durch private und institutionelle Investoren, welcher bspw. durch das Eingehen der Short Position im oben dargestellten Degree-Day-Put erfolgen kann, einen diskussionswürdigen Ansatz dar. Die Attraktivität der Einbeziehung von Wetterrisiken in ein Portefeuille liegt darin begründet, dass die Wertentwicklung von Wetterderivaten von den Finanz- und Gütermärkten weitgehend unabhängig ist. Wetterderivate dürfen deshalb als eine eigenständige Asset-Klasse eingestuft werden. Sie erweitern das Anlagespektrum, da Investoren mit Wetterrisiken eine Risikoart in ihre Portefeuilles aufnehmen können, die zuvor nicht handelbar war. Anlegern eröffnet der Wettermarkt somit verbesserte Diversifikationsmöglichkeiten mit überlegenen Risiko-Rendite-Positionen.

Dass der Einsatz von Wetterderivaten im Portfoliomanagement nicht nur von theoretischem Interesse ist, zeigt die Begebung eines „Weather Bond“ durch die Tochter Koch Energy Trading des US-Konzerns Koch Industries.[19] Dieser Bond ist in Form einer Asset-Backed-Transaktion konstruiert. Die Rückzahlung zweier unterschiedlich gerateter Tranchen nach dreijähriger Laufzeit hängt von der Performance eines Portefeuilles aus 28 Wetterderivaten ab. Investoren wird also die Möglichkeit gegeben, Wetterrisiken gezielt in ihr Portefeuille aufzunehmen.

 

 

V. Die Bewertung von Wetterderivaten  

 

1. Besonderheiten der Underlyings

 

Unternehmen oder Investoren, die Wetterderivate im Risiko- oder Portfoliomanagement einsetzen, haben ein Interesse daran, den fairen Wert der Transaktionen zu kennen. Dies macht den Einsatz von Modellen notwendig, die eine Bewertung von Wetterderivaten ermöglichen. Bis dato sind ausschließlich Ansätze zur Bewertung von Degree-Day-Derivaten veröffentlicht worden, was in der vergleichsweise großen Bedeutung dieser Derivate begründet ist. Nachfolgend soll ein Überblick über die existierenden Bewertungsansätze gegeben werden, wobei die grundlegenden Ansatzpunkte zur Lösung des Bewertungsproblems für Degree-Day-Derivate herausgegriffen werden. Die Bewertung von Wetterderivaten im allgemeinen und von Degree-Day-Derivaten im besonderen gestaltet sich als komplexe Fragestellung, da das Black/Scholes-Modell in seiner Grundversion zur Lösung der Bewertungsprobleme nicht herangezogen werden kann, Hierfür lassen sich zwei Ursachen identifizieren:

  • Wetterderivate sind zumeist pfadabhängige Derivate, da ihre Payoffs von der Entwicklung der Wettervariablen über die gesamte Laufzeit abhängen. So determiniert bspw. die Temperaturentwicklung während der gesamten Laufzeit, d.h. die Durchschnittstemperatur jedes einzelnen Tages, den Wert des daraus abgeleiteten Degree-Day-Index und somit den Payoff eines Degree-Day-Derivats.

  • Die konzeptionelle Zulässigkeit einer Black/Scholes-Bewertung ist an die Bildung eines Duplikationsportfolios gebunden, welches sich zu einem Anteil aus einer Geldanlage zum risikolosen Zins und zu einem Anteil aus einer Position im Basisobjekt zusammensetzt. Erforderlich ist also der physische Besitz des Basisobjekts. Da es unmöglich ist, Wettervariablen physisch zu besitzen, kann die Bildung eines Duplikationsportefeuilles nicht gelingen und die Black/Scholes-Methodik nicht direkt auf die Bewertung von Wetterderivaten übertragen werden. Es kann jedoch gezeigt werden, dass die Verwendung eines No-Arbitrage-Arguments, welches dem Black/Scholes-Ansatz konzeptionell nahe steht, für die Bewertung von Derivaten mit exotischen Underlyings zulässig ist.[20]

Die nun folgenden Ansatzpunkte zur Lösung des Bewertungsproblems beziehen sich stets auf Degree-Day-Derivate. Aus Abb. 4 werden die Konstruktionsmerkmale, welche in Bewertungsmodelle für Degree-Day-Derivate Eingang finden müssen, ersichtlich:

 

 

Abb. 4: Bewertungsmodelle für Degree-Day-Derivate

 

 

 

2. Bewertungsansätze für Wetterderivate

 

a) Die Index Value Simulation Method  

 

Der Wert eines Degree-Day-Derivats hängt vom Wert des Degree-Day-Index am Ausübungszeitpunkt ab, da der Indexwert den Payoff des Derivats bestimmt. Der Degree-Day-Indexwert ist jedoch mit Unsicherheit behaftet, der Payoff des Derivats deshalb eine stochastische Größe. Für die Bestimmung des Wertes des Degree-Day-Derivats bei Vertragsabschluss muss somit diese Unsicherheit explizit berücksichtigt werden. Für die Modellierung der Stochastik des Degree-Day-Index bieten sich grundsätzlich zwei Vorgehensweisen an: die Index Value Simulation Method und die Daily Simulation Method.  

Die Index Value Simulation Method (IVSM) leistet eine direkte Modellierung des Wertes des Degree-Day-Index bei Fälligkeit des Derivats. Der Stochastik des Indexwertes wird dadurch Rechnung getragen, dass geeignete Annahmen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeitsverteilung möglicher Realisationen des Degree-Day-Indexwertes formuliert werden. Ferner ist im Rahmen der IVSM eine No-Arbitrage-Bewertung (siehe Abb. 4 ) möglich, deren Umsetzbarkeit durch folgende Annahmen sichergestellt wird:

  • Die Marktteilnehmer sind risikoneutral. Dieser Risikoneutralität wird dadurch Rechnung getragen, dass die Wahrscheinlichkeitsverteilung der realen Eintrittswahrscheinlichkeiten der Realisationen der Werte des dem Derivat zu Grunde liegenden HDD- oder CDD-Index bei Ausübung des Derivats P(HDD/CDD(T1,T2)) durch eine um die am realen Wettermarkt anzunehmende Risikoaversion korrigierte Wahrscheinlichkeitsverteilung Q(HDD/CDD(T1,T2)) ersetzt wird.

  • Der Markt für Degree-Day-Derivate ist arbitragefrei. Diese Annahme ist erforderlich, damit die Verteilung Q(HDD/CDD(T1,T2)) aus den Preisen gehandelter Derivate auf einen spezifischen Degree-Day-Index ermittelt werden kann.

Gegeben die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Indexwerte Q(HDD/CDD(T1,T2)), bzw. deren Dichte Q'(HDD/CDD(T1,T2)) in einer risikoneutralen Welt im Ausübungszeitpunkt T2, kann der Erwartungswert des Payoff eines beliebigen Derivats auf den Degree-Day-Index ermittelt werden:

 

.[21]

 

Der faire Wert des Degree-Day-Derivats in t wird durch Diskontierung dieses erwarteten Payoffs ermittelt. Den adäquaten Diskontfaktor stellt der risikofreie Zins rf dar, da annahmegemäß risikoneutrale Investoren auf einem arbitragefreien Markt keinerlei Vergütung für die Übernahme des in der Volatilität des Degree-Day-Index begründeten Risikos in Form einer oberhalb des risikofreien Zinssatzes liegenden Rendite verlangen.

.

Dieses allgemeine Konzept kann nun für verschiedene Verteilungsannahmen, welche die empirisch ermittelte Verteilung des Degree-Day-Indexwertes abbilden, spezifisch für jede Derivatlaufzeit konkretisiert werden: Beispielhaft wird für die Realisationen des Degree-Day-Index bei Fälligkeit Q(HDD/CDD(T1,T2)) eine Normalverteilungsannahme getroffen, also

Q(HDD/CDD(T1,T2)) ~ N(m,s).[22]  

An dieser Stelle ist einzuwenden, dass die modelltheoretische Zulässigkeit negativer Werte des Degree-Day-Index in Kauf genommen wird, was, da Degree-Day-Indizes keine negativen Werte annehmen können, konzeptionell problematisch ist. Für Perioden mit hohen Degree-Day-Indexwerten (d.h. mit langen Derivatlaufzeiten oder stark von 65°F abweichenden Temperaturen), wie in Abb. 5 beispielhaft dargestellt, erscheint der resultierende Fehler jedoch gering und die Normalverteilung geeignet, die Stochastik des Indexwertes approximativ wiederzugeben.

 

 

Abb. 5: Beispiel: Histogramm historischer CDD-Indexwerte (Mai-September, New York)

 

 

 

Unter der getroffenen Normalverteilungsannahme kann nun eine allgemeine Bewertungsformel für Degree-Day-Derivate der Form

 

aufgestellt werden. Die besondere Attraktivität dieses Ansatzes besteht darin, dass es im Falle normalverteilter Indexwerte möglich ist, eine analytische Lösung für das Bewertungsproblem abzuleiten. So kann beispielhaft der Wert eines Call auf den Degree-Day-Index mit dem Strike Level (Basispreis) K, welcher bei Fälligkeit max(HDD/CDD(T1,T2) – K,0) zurückzahlt, angegeben werden als

 

m und s bezeichnen Erwartungswert und Standardabweichung des Degree-Day-Indexwertes für die Laufzeit des Call, F den Wert der Standardnormalverteilung und f  deren Dichte.

Die Herleitung dieser geschlossenen Bewertungsformel für Calls, ebenso wie die hier nicht wiedergegebene Bewertungsformel für Puts, stellt ein optionspreistheoretisches Standardproblem dar, welches in der Literatur bereits gelöst wurde.[23] Ferner kann der Forward-Preis, definiert als dasjenige Strike Level, bei dem der Wert der Transaktion bei Vertragsabschluss gleich null ist, durch Replikation des Forward durch jeweils einen Put und einen Call sowie Ausnützen der Put-Call-Parität ermittelt werden.[24]  

Im Gegensatz zu den obigen Ausführungen steht der Fall kurzer Derivatlaufzeiten mit entsprechend geringen Erwartungswerten des Degree-Day-Index. In diesem Fall erscheint eine Normalverteilung nicht geeignet, die Stochastik des Indexwertes abzubilden, wie beispielhaft aus Abb. 6 deutlich wird.

 

 

Abb. 6: Beispiel: Histogramm historischer HDD-Indexwerte (Januar, New York)

 

 

 

Hier kann die modelltheoretische Zulässigkeit negativer Indexwerte zu signifikanten Verzerrungen in den errechneten Optionsprämien führen. In diesen Fällen erscheinen andere Verteilungstypen wie bspw. die Lognormalverteilung oder eine am Wert null gestutzte Normalverteilung geeigneter, die Stochastik des Degree-Day-Index zu modellieren. Für den ersten Fall ist ebenfalls die analytische Lösbarkeit gegeben, die Bewertungsformel für einen Degree-Day-Call entspricht formal derjenigen von Black/Scholes.[25]  

Die Praktikabilität dieses Verfahrens unter Einbindung der IVSM ist, obwohl die analytische Lösbarkeit die Attraktivität des vorgeschlagenen Ansatzes erhöht, unter zweierlei Gesichtspunkten fragwürdig:

  • Die Konstruktion der IVSM weist eine Schwachstelle auf: Jede Bewertung von Transaktionen, welche unterschiedliche Laufzeiten aufweisen, erfordert eine eigene Spezifikation der Verteilung der Degree-Day-Indexwerte. Diese Spezifikation ist mit hohem statistischen Aufwand verbunden und kann zu Inkonsistenzen in der Bewertung von Derivaten mit unterschiedlichen Laufzeiten führen.

  • Die praktische Umsetzbarkeit einer No-Arbitrage-Bewertung wird dadurch gefährdet, dass Arbitragefreiheit für den Markt für Degree-Day-Derivate als Segment des Wettermarktes nicht zwangsläufig unterstellt werden kann. Die Preise der OTC-Wetterderivate sind nicht beobachtbar, weshalb bestehende Preisdifferenzen für identische Degree-Day-Kontrakte nicht konsequent arbitriert werden können. Hier übernimmt der Handel an der CME und voraussichtlich auch an der LIFFE eine wichtige Funktion: Die Preistransparenz im Börsenhandel fördert den Abbau von Bewertungsdifferenzen, was in einem dynamischen Kontext schließlich in Arbitragefreiheit resultiert.

 

b) Die Daily Simulation Method

Angesichts der genannten Schwierigkeiten, die die IVSM mit sich bringt, ist oftmals der Daily Simulation Method (DSM) der Vorzug zu geben. Diese leistet ebenfalls eine Modellierung des Degree-Day-Indexwertes bei Fälligkeit des Derivats, jedoch über den Umweg, dass die Quelle der Unsicherheit die stochastische Entwicklung der Tagestemperatur über die Laufzeit des Degree-Day-Derivats darstellt und insofern Ansatzpunkt der Modellierung ist. Der Wert des Degree-Day-Index wird erst in einem zweiten Schritt ermittelt: Die Entwicklung der Tagestemperatur kann in Form eines stochastischen Prozesses modelliert werden, wobei die Schrittweite zwischen den einzelnen Realisationen einen Tag beträgt.  

Die Formulierung eines stochastischen Prozesses, welcher die Temperaturentwicklung im Zeitablauf widerspiegelt, gestaltet sich jedoch als wesentlich komplexere Aufgabe als die Beschreibung der Dynamik von Aktienkursen, wie sie bspw. in Form eines geometrischen Wiener Prozesses im Black/Scholes-Modell erfolgt:

  • Tagestemperaturen weisen im Gegensatz zu Aktienkursen ausgeprägte Saisoneinflüsse auf, welche durch den Jahreszeitenrhythmus bedingt sind, wie das nachstehende Autokorrelogramm der Tagestemperatur in New York am 31.12.1998 erkennen lässt.

Abb. 7 : Autokorrelationsfunktion für die Tagestemperatur in New York

 

 

  • Die Temperaturzeitreihe eines einzelnen Jahres ist stark heteroskedastisch, da die Volatilität der Tagestemperaturen für verschiedene Jahre in der Wintersaison signifikant über dem Niveau der Sommersaison liegt, was aus Abb. 8 deutlich wird:

 

 

Abb. 8 : Volatilität der Tagestemperaturen innerhalb eines Jahres in New York 

 

  • Schließlich sollte der Prozess die Möglichkeit zur Integration eines Erwärmungstrends, welcher in Ballungsräumen nachgewiesen werden kann, bieten.

 

 

Der Prozess der Tagestemperatur

Ein stochastischer Prozess, der diesen Anforderungen gerecht wird, wurde von Cao/Wei ausgearbeitet:[26] Cao/Wei nehmen an, dass der Erwärmungstrend in Form eines linearen Trends sowie die Saisonfigur, d.h. ein langfristig gültiges Durchschnittsniveau für jeden der 365 Tage eines Jahres, festgestellt werden können. Die Saisonfigur, nachstehend mit St bezeichnet, kann für jedes Datum als arithmetisches Mittel der Tagestemperaturen desselben Datums der Vorjahre ermittelt werden, wobei eine Länge der Temperaturzeitreihe von 20 Jahren als geeignet angesehen wird. Der lineare Trend, welcher mit Lt bezeichnet sei, gibt wieder, in welchem Ausmaß die Temperatur eines bestimmten Tages von diesem historischen Durchschnitt abweicht.[27] Diese beiden Parameter bestimmen die Grundtendenz der Temperaturdynamik und sind deterministische Größen. Der Trend wird von einer irregulär schwankenden Komponente, dem Residuum Ut, überlagert. Die Tagestemperatur Yt kann durch Addition dieser drei Parameter beschrieben werden:

 

 

Das Residuum Ut als stochastische Größe wird durch einen autoregressiven Prozess erzeugt:  

 

Der die Gestalt des Prozesses charakterisierende Parameter ist der Autokorrelationskoeffizient ri. Er ermöglicht die Berücksichtigung der Abhängigkeit der Tagestemperatur eines Tages t von der Tagestemperatur der vorausgegangenen Tage, deren Abstand zum betrachteten Tag durch einen Lag der Länge i beziffert wird. Die optimale Lag-Länge k wird von den Autoren mit k=3 festgelegt, d.h. eine realitätsgetreue Abbildung der Temperaturentwicklung gelingt optimal bei einer Abhängigkeit der Residuen von den Residuen der vorausgegangenen drei Tage, wobei der Autokorrelationskoeffizient Werte nahe eins annimmt.[28]  

Die Zufallsvariable et ~ N(0,1) stellt als White Noise die Quelle der Stochastik der Temperaturdynamik dar. Ferner muss in die stochastische Komponente ein datumsabhängiger Volatilitätsparameter vt eingehen, so dass die oben festgestellte Heteroskedastizität der datumsspezifischen Temperaturen Modellbestandteil werden kann. Dies kann in Form einer datumsabhängigen Sinusschwingung der Form

erfolgen, welche die durch die Zufallsvariable et ausgelösten irregulären Schwankungen verstärkt. Mittels eines dergestalt konzipierten Prozesses können nun Temperaturpfade simuliert werden. So kann z.B. im Rahmen einer Monte-Carlo-Simulation sukzessive für jedes Datum eine standardnormalverteilte Zufallszahl gezogen werden, mit deren Hilfe unter Berücksichtigung der durch den Prozess vorgegebenen Abhängigkeiten von den Temperaturen (oder, wie im Beispiel, von den Residuen) vorausgegangener Tage eine Temperaturzeitreihe generiert wird. Für jeden Temperaturpfad lassen sich die Degree-Day-Werte einzelner Tage und durch deren Addition über die Laufzeit des zu bewertenden Derivats letztlich der Degree-Day-Indexwert bei Fälligkeit ermitteln, welcher unmittelbar den Payoff des Derivats determiniert.[29]

Bewertung im Gleichgewichtsmodell

Die Bewertung beliebiger Degree-Day-Derivate erfolgt auch im Rahmen der DSM durch Diskontieren des Erwartungswertes. An dieser Stelle ergibt sich ein substantieller Unterschied zur IVSM: Der Erwartungswert des Degree-Day-Index wird unter Zugrundelegung der Verteilung der Eintrittswahrscheinlichkeiten erzeugt, welche die reale Entwicklung der Temperaturdynamik abbilden, also unter P(HDD/CDD(T1,T2)). Eine ex-ante-Korrektur um die Risikoaversion der Investoren wie im zuvor dargestellten No-Arbitrage-Modell erfolgt nicht, weshalb keine Risikoneutralitätsannahme getroffen wird. Die Formulierung eines Modells als No-Arbitrage-Ansatz, welches sich der DSM bedient, kann in der Tat nicht gelingen: Am Markt vergütet wird das der Stochastik des Degree-Day-Index inhärente Risiko. Aus den Preisen gehandelter Kontrakte kann somit lediglich die Bewertung dieses gehandelten Risikos durch die Marktteilnehmer ermittelt werden. Da ein ex-post ermittelter Wert des Degree-Day-Index als kumulierte Größe eine Identifikation der ursprünglichen Temperaturentwicklung, die den Indexwert generiert hat, nicht zulässt, kann eine auf die Stochastik der Tagestemperatur bezogene Risikobewertung durch die Marktteilnehmer nicht sinnvoll definiert und somit auch nicht ex ante aus dem Bewertungsansatz eliminiert werden.  

Eine Bewertung von Degee-Day-Derivaten kann im Rahmen der DSM also nur präferenzabhängig erfolgen: Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Investoren eine Kompensation für die Übernahme des in der Volatilität des Degree-Day-Index begründeten Risikos, welches sich auf die Volatilität der Rendite von Degree-Day-Derivaten auswirkt, verlangen und deshalb die erwarteten Renditen von Degree-Day-Derivaten Risikoprämien umfassen.  

Für die Bestimmung der erwarteten Rendite E(ri) eines Degree-Day-Derivats, welche dem adäquaten Diskontfaktor für den erwarteten Payoff von Degree-Day-Derivaten entspricht, kann ein Gleichgewichtsmodell (siehe Abb. 4 ), wie bspw. das CAPM oder seine Erweiterungen, zur Anwendung kommen. So wird in Verbindung mit dem vorgestellten autoregressiven Prozess ein Modell zur Ableitung eines risikoadjustierten Diskontfaktors vorgeschlagen, welches sich in den Rahmen eines mehrperiodigen Consumption Based CAPM (CCAPM) einfügt[30]: In diesem Ansatz wird explizit eine Abhängigkeit der realwirtschaftlichen Entwicklung einer Volkswirtschaft von der Temperaturentwicklung zugelassen, was in Folge der festgestellten Wetterabhängigkeit betrieblicher Erfolgsgrößen zahlreicher Branchen eine plausible Annahme darstellt. Dies bedeutet, dass die Rendite des Marktportfolios mit der Rendite von Degree-Day-Derivaten korrelieren kann. Bei Existenz dieser Abhängigkeit kann das den Degree-Day-Derivaten innewohnende Risiko in eine idiosynkratische und eine systematische Komponente aufgespalten werden, wovon letztere durch die Korrelation zwischen der Rendite des Marktportfolios und der Rendite des betrachteten Degree-Day-Derivats determiniert wird. Die Höhe der Risikoprämie, welche am gleichgewichtigen Markt für die Übernahme des Wetterrisikos in Form einer vom risikofreien Zins abweichenden erwarteten Rendite vergütet wird, wird allein durch das systematische Risiko bestimmt.[31]

Unter Verwendung des im Rahmen eines Gleichgewichtsmodells ermittelten Erwartungswertes seiner Rendite berechnet sich der Wert eines Degree-Day-Derivats in t mit

 .  

Bei der DSM wird der erwartete Payoff des Derivats zum Ausübungszeitpunkt T2 durch die beschriebene Simulation einer großen Zahl an Temperaturpfaden und den dazugehörigen Derivat-Payoffs generiert.

c) Modellvergleich  

Es bleibt festzuhalten, dass im Rahmen der DSM die Modellierung der Temperaturdynamik wesentlich exakter erfolgen kann als bei der IVSM und, da saisonale Schwankungen in den Temperaturprozess integriert werden können, nur eine einzige Spezifikation der Parameter dieses Prozesses vonnöten ist.

Darüber hinaus sind die Voraussetzungen für die Implementierbarkeit der Gleichgewichtsbewertung in einer Hinsicht schwächer als die Voraussetzungen für die Möglichkeit einer No-Arbitrage-Bewertung: Die Existenz beobachtbarer Preise anderer Wertpapiere ist nicht erforderlich, da Preise nicht Inputgröße des Modells sind, sondern modellendogen aus geeigneten Annahmen (wie bspw. der Gültigkeit des CAPM) abgeleitet werden. Die Anwendbarkeit dieser Modellkonzeption wird durch die aktuellen Probleme des Wettermarktes, d.h. seine Unvollständigkeit sowie die nicht auszuschließende Existenz von Arbitragemöglichkeiten, nicht behindert.  

Als Preis für die Vorzüge der Gleichgewichtsbewertung unter Einbindung der DSM sind jedoch zahlreiche Parameter zu schätzen. Auch können bei der DSM geschlossene Lösungen für die Derivatpreise i.d.R. nicht ermittelt werden.

 

 

VI. Zusammenfassung

 

In den vorausgegangenen Ausführungen wurde das neuartige Kapitalmarktprodukt Wetterderivat vorgestellt und seine Einsatzmöglichkeiten in Risiko- und Portfoliomanagement aufgezeigt, wobei eine Einbeziehung von Wetterrisiken in Anlegerportefeuilles unter Diversifikationsgesichtspunkten als ökonomisch sinnvoll erachtet werden darf. Nennenswerte Herausforderungen bietet die Bewertung von Wetterderivaten: Es wurden zwei unterschiedliche Ansätze zur Lösung des Bewertungsproblems speziell für Degree-Day-Derivate erläutert und im Hinblick auf ihre Zweckmäßigkeit angesichts bestehender faktischer Probleme des Wettermarktes untersucht. Die Index Value Simulation Method besitzt den Vorteil, dass geschlossene Lösungen für Derivatpreise prinzipiell ermittelbar sind, jedoch stellt sie in der vorgestellten Version eines No-Arbitrage-Modells hohe Anforderungen an den Entwicklungsstand des Wettermarktes. Diesen Nachteil beseitigt die in ein Gleichgewichtsmodell eingebettete, exaktere Daily Simulation Method, da die Preise gehandelter Derivate keine Inputgrößen des Modells darstellen.  

Für die zukünftige Entwicklung des Wettermarkte lassen sich zwei Tendenzen identifizieren: Am Wettermarkt zeichnet sich eine zunehmende Standardisierung und Institutionalisierung ab. Mit der an der CME bereits erfolgten und durch die LIFFE geplanten Aufnahme des Börsenhandels in Degree-Day-Derivaten u. a. für München und Hamburg kommt diesem Derivattyp die Funktion eines liquiden Standard-Wetterkontraktes zu, was dem Markt für Degree-Day-Derivate über seine Bedeutung für das Risikomanagement von Energieunternehmen hinaus eine hohe Attraktivität für das Management auch deutscher Anlegerportefeuilles verleiht.  

Die Tatsache, dass der Wettermarkt bereits das Interesse von Unternehmen verschiedener Branchen jenseits des Energiesektors geweckt hat, löst einen der Standardisierung entgegenlaufenden Trend aus. Da in anderen Branchen der Geschäftserfolg von unterschiedlichen Wettervariablen abhängt, ist mit einem Anstieg der Abschlüsse maßgeschneiderter Transaktionen auf Wettervariablen zu rechnen, welche im Gegensatz zu Degree-Day-Indizes nicht aus der Temperatur abgeleitet werden.

 


[2]     Vgl. für einige Beispiele für Wetterindizes Ellithorpe/Putnam, in: The New Power Markets, Risk Books, 1999, S. 171.

[3]     Vgl. Choe/Smithson, Risk 9/1999, S. 94f.

[4]     Vgl. für einige Beispiele Ellithorpe/Putnam, a.a.O. (Fn. 2 ), S. 178 und Clemmons/Kaminsky/Hrgovic, in: Geman (Hrsg.), Insurance and Weather Derivatives, 1999, S. 180.

[5]     Vgl. zur folgenden Berechnung http://www.cme.com/weather/weather.html.

[6]     Vgl. Arditti u.a., Weather Risk Special Report (Hrsg. von Risk und Energy & Power Risk Management), 1999, S. 11f. sowie Ellithorpe/Putnam, a.a.O. (Fn. 2 ), S. 179.

[7]     Vgl. Cao/Wei, Pricing Weather Derivative: an Equilibrium Approach, Working Paper, Queen’s University, Kingston (Canada) 1999, S. 2.

[8]     Vgl. Ellithorpe/Putnam, a.a.O. (Fn. 2 ), S. 170. Für die graphische Darstellung ausgewählter Derivatpayoffs sei auf Abb. 3verwiesen.

[9]     Vgl. Choe/Smithson, a.a.O. (Fn. 3 ), S. 94.

[10]    Vgl. Choe/Smithson, a.a.O. (Fn. 3 ), S. 95.

[11]    Vgl. Ellithorpe/Putnam, a.a.O. (Fn. 2 ), S. 166.

[12]    Vgl. Rettberg, Handelsblatt v. 22. 4. 1999, S. 43.

[13]    Vgl. Geman, in: Geman (Hrsg.), Insurance and Weather Derivatives, 1999, S. 201.

[14]    Vgl. für die Kontraktspezifikationen http://www.cme.com/weather/degreedayspec.html.

[15]    Vgl. für die voraussichtlichen Kontraktspezifikationen

      http://213.219.22.254/i-wex/exchanges/LIFFEcontractspec.asp.

[16] Vgl. zur Einordnung von Wetterrisiken als Geschäftsrisiken (operative Risiken) Becker/Hörter, Österreichisches Bank-Archiv 9/1998, S. 694.

[17]    Vgl. zur Einordnung von Wetterrisiken als Mengenrisiken Williams, Weather Risk Special Report (hrsg. von Risk und Energy & Power Risk Management), 1999, S. 5.

[18]    Vgl. Ellithorpe/Putnam, a.a.O. (Fn. 2 ), S. 177.

[20]    Für den Beweis sei auf Hull, Options, Futures and other Derivatives, 1997, S. 288-291, S. 296 verwiesen.

[21]    Intuitiv kann die Transformation von P(·) nach Q(·) als Umgewichtung der Eintrittswahrscheinlichkeiten zugunsten der Fälle interpretiert werden, in denen der Payoff des Derivats gering ist. Dies hat zur Folge, daß der Payoff des Degree-Day-Derivats auf der Basis einer „pessimistischeren“ Wahrscheinlichkeitsverteilung errechnet wird und so geringer als am realen Markt ausfällt. Vgl. für die formale Darstellung Neftci, An Introduction to the Mathematics of Financial Derivatives, 1996, S. 273-290.

[22]    Vgl. McIntyre, Energy & Power Risk Management 7/1999, S. 26f.

[23]    Die Konzeption des vorgestellten Modells entspricht einem Ansatz zur Bewertung von Aktienoptionen, der bereits von Bachelier 1900 aufgestellt wurde (Bachelier, in: Cootner, The Random Character of Stock Market Prices, 1964, S. 17-78). Eine Darstellung der Ableitung der Bewertungsformeln für Optionen in der in der modernen Optionspreistheorie üblichen Notation gibt Smith, Journal of Financial Economics, 1976, S. 48.

[24]    Vgl. McIntyre, a.a.O. (Fn. 22 ), S. 27.

[25]    Vgl. zur Ableitung der Bewertungsformel für Calls im Rahmen des Black/Scholes-Modells aus einem Erwartungswertansatz Cox/Ross, Journal of Financial Economics, 1976, S. 153f. und mit weiteren Erläuterungen Neftci, a.a.O. (Fn. 21 ), S. 305-318.

[26]    Vgl. Cao/Wei, a.a.O. (Fn. 7 ), S. 9.

[27]    Vgl. für die Berechnung eines „adjusted mean“, welcher beide Trendkomponenten umfaßt, Cao/Wei, , a.a.O. (Fn. 7 ), S. 9f.

[28]    Vgl. Cao/Wei, a.a.O. (Fn. 7 ), S. 17.

[29]    Vgl. Cao/Wei, a.a.O. (Fn. 7 ), S. 18-21 für die Implementierung des Modells.

[30]  Vgl. Cao/Wei, a.a.O. (Fn. 7 ), S. 5f., 10f. Vgl. für grundlegende Erläuterungen und für die Erweiterung des Ansatzes auf ein CCAPM Huang/Litzenberger, Foundations for Financial Economics, 1988, S. 179-206.

[31]    Vgl. für eine allgemeine Darstellung des Risiko-Rendite-Zusammenhangs im CCAPM Huang/Litzenberger, a.a.O. (Fn. 30 ), S. 205f.

 

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